Bevor beim Premierenabend in der Caserne Fonck überhaupt der erste Ton erklang oder der erste Tanzschritt erfolgte, wurde die Euregionale Tanzbiennale mit einem wichtigen Appell für Toleranz eröffnet. In allen europäischen Theatern wurde am Mittwoch, am Tag der Berufung zweier neuer Direktoren am Theater Budapest, dieser Text verlesen. Diese beiden Direktoren haben in den letzten Monaten in Reden ihre antisemitische und fremdenfeindlichen Ansichten zum Ausdruck gebracht. Darauf soll, darauf muss die Kultur- und Kunstszene reagieren. Ein starkes Manifest der Toleranz ist, nicht nur angesichts der Verhältnisse in Ungarn, vonnöten.
Ein beeindruckendes Solo, das in seiner Akrobatik und Ästhetik grandios war, eröffnete dann die Tanzperformance des Ensembles DorkyPark aus Berlin. Mehrere Minuten schaut man der jungen Tänzerin voller Bewunderung zu, aber bald fragt man sich: Was hat dieses Solo mit Oedipus Rex zu tun? Es könnte auch vor jeder anderen Choreograhie stehen. Dieser Eindruck setzt sich dann, sobald die Musik und damit das eigentliche Werk von Igor Strawinsky beginnt, fort.
Jean Cocteau hatte 1927 im Auftrag Strawinskys die Ödipus-Geschichte von Sophokles ins Französische übertragen, und davon ausgehend war dann das lateinische Libretto geschaffen worden. Dies vertont Strawinsky in eine sehr herbe musikalische Sprache für Symphonieorchester, Männerchor und Solostimmen.
Die oft sehr markant aggressive Tonsprache der Partitur kommt bei der Aufführung im Le Manège der Caserne Fonck kaum zum Tragen. Dies liegt weniger an den Ausführenden denn an der Bühnendisposition. Max Renne leitet das das Königlich Philharmonische Orchester Lüttich und den neben dem Orchester platzierten und von seinem Dirigenten Heinz Piront bestens vorbereiteten Marienchor Eupen. Alle sind hinter einem Gazevorhang weit weg vom Publikum. Dies und die Akustik im Le Manège führen dazu, dass fast alles in einem durchgehenden Mezzoforte beim Hörer ankommt. Dynamische Ausbrüche sind kaum zu vernehmen. Schade, eine konzertante Aufführung hätte der Musik gut getan.
Aber im Mittelpunkt steht ja der Tanz, die Choreographie von Constanza Macras. Eines ist sicher: Ihre Tanzcompanie DorkyPark verfügt über grandiose Tänzerinnen und Tänzer, die den Zuschauer immer wieder mit ihrer Körperlichkeit begeistern. Doch in wieweit reflektiert der Tanz die Handlung? Könnte diese Choreographie mit einigen Ausnahmen, wenn zum Beispiel sehr demonstrativ zum Gesang des Hirten ein Schaf die Szene verdoppelt, auch bei vielen anderen Balletten genau so da stehen?
Manchmal gewinnt man den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit. Obwohl, davon bin ich überzeugt, die Dramaturgin jedem Schritt seine Bedeutung zuweisen könnte. Auch würde manche Szene an Ausdrucksstärke gewinnen, wenn Macras sich auf weniger Tänzer konzentriert hätte, statt meist das gesamte umfangreiche Ensemble in dem zugegeben sehr beeindruckenden Bühnenbild agieren zu lassen.
Oedipus Rex wird auch am 2. und 3. Februar in Lüttich gezeigt. Die Tanzbiennale gastiert aber auch in Eupen: Am Mittwoch, dem 8. Februar, ist im Jünglingshaus auf Einladung von Chudoscnik Sunergia das Stück "Foodstory" von Uiko Watanabe zu sehen. Das Trotzensemble zeigt seine Produktion "Love is strange" am 14. Februar im Kulturzentrum von Chénée.
Bilder: Thomas Aurin