Klaus Paier musste immer damit rechnen, erwischt zu werden. Er wusste, man konnte ihn wegen Sachbeschädigung drankriegen. Für den Physikstudenten ohne Geld ein hohes Risiko. Trotzdem malte er - heimlich und illegal: Über Abrüstung, Kriege und atomare Bedrohung. Er provozierte.
Im tiefschwarzen Aachen wurde seine Kunst früher als Schmiererei gesehen. Viele Graffiti wurden weggeätzt - kaum dass sie entstanden waren - oder übermalt. Wenige Jahre nach seinem Tod kommt Paier doch zu Ehren. Aachen stellt den kleinen Rest seines Werkes unter Denkmalschutz.
Ein Hochseilakt
Dem Landeskonservator Udo Mainzer ist klar, wie schwierig das Terrain ist, auf dem sich die Denkmalpfleger bewegen. Ein Freifahrtschein für alle Graffiti-Künstler und die, die sich dafür halten? «Das Ganze ist ein Hochseilakt», bekannte er am Montag. Graffiti, das sei für die Denkmalpflege Neuland. Wie bei Denkmälern üblich sollen die Bilder nicht nur erhalten, sondern auch restauriert werden. Vielleicht ein Thema für den relativ jungen Studiengang Restaurierung und Erhalt von Graffiti in Dresden.
Schutz, das bedeutet bei Denkmälern Schutz vor Veränderung. «Es soll verhindert werden, dass der Hauseigentümer plötzlich Platten anbringt oder das Bild mit Farbe überstreicht», sagte ein Sprecher der Aachener Denkmalbehörde. Man könne damit aber nicht verhindern, dass jemand absichtlich «einen Eimer Farbe dagegen schüttet.»
Mit dem ungewöhnlichen Schritt zum Graffiti-Schutz leisten die Aachener Abbitte, zwei Jahre nach dem Tod des Künstlers: Paiers Werk ist keine Kritzelei, sondern «ein künstlerisches Werk mit politischer Bedeutung», teilte das Rheinische Amt für Denkmalpflege am Montag mit.
Schmiererei oder Kunst?
Was ist Schmiererei, was ist Kunst? Diese Frage hatte sich auch der frühere Aachener Oberbürgermeister Kurt Malangré gestellt. Heute plagt ihn das Gewissen, dass er nicht schon viel früher eingeschritten ist und das Werk des Künstlers geschützt hat. Im Ruhestand kam er häufiger an diesem «Null-Bock-Graffito» von damals vorbei - das aber schon sehr verblasst war. «Ist das völliger Quatsch oder ist das ernstzunehmende Kunst?» fragte er Fachleute. «Kunst», war die Meinung. Der Stein kam ins Rollen.
Einer seiner Mitstreiter ist der frühere Museumsdirektor Wolfgang Becker. Der schätzte Paier schon sehr früh als Künstler. Es war zwar sehr schwer, an den öffentlichkeitsscheuen Mann heranzukommen, aber Becker schaffte es und machte 1984 eine Ausstellung mit Fotos der Arbeiten. Wie der weltweit bekannte Sprayer von Zürich, Harald Naegeli, gehörte der Aachener zwar zu den Street-Art-Künstlern, aber im Gegensatz zum Schweizer griff er nicht zur Sprühdose.
«Er arbeitete mit Stiften, Kreiden und Farben, die nicht so spontan aufzutragen sind», erzählte Becker. In zwei Arbeitsgängen entstanden zuerst die Skizzen mit den typisch kantigen Konturen, dann kam der Farbauftrag. «Viele Bilder waren, kurz nachdem sie geschaffen waren, wieder weg», beobachtete Becker. Paier war das bewusst. Alle seine Fassadenbilder fotografierte er.
Elke Silberer (dpa) - Bild: Regina Weinkauf (wikipedia)