Augen und Kopfhörer auf: Beim Theaterspazieren sind alle Sinne scharf gestellt. "60 Mal muss man etwas tun, damit es zur Gewohnheit wird. Es heißt auch, dass Gewohnheit Freude erzeugt", erzählt die Stimme im Kopfhörer.
Im Pfarrgarten von Hauset geht es los: Die 56-jährige Regisseurin Nicole Erbe ist für ihren Theaterspaziergang in einen rosa Overall geschlüpft. Mit einer gelben Sonnenbrille auf der Nase nimmt sie die Gewohnheiten des Alltags unter die Lupe: Gartenarbeit zum Beispiel, Blümchen pflegen. Die seit Jahren immer gleichen Gesten wirken wie mechanisch einstudiert. Der Audioeinspieler erklärt: "Als Gewohnheit, auch Usus, wird eine unter gleichartigen Bedingungen entwickelte Reaktionsweise bezeichnet". Begleitet wird der circa drei Kilometer lange Weg mit Musik von dem Eupener Komponisten Christian Klinkenberg.
Ein Jahr lang hat Regisseurin Nicole Erbe zum Thema Gewohnheiten recherchiert. "Ich finde zum Beispiel, dass ich viele Kontakte im Dorf knüpfen konnte, da ich einen Gewohnheitsspaziergang gemacht habe. Immer zur selben Zeit am selben Ort. Das fand ich sehr positiv, weil es etwas Vernetzendes hat. Da geht es viel um Begegnung. Oder man tut sich zusammen, um eine Gewohnheit zusammen auszuführen oder um sich gegenseitig zu motivieren".
Auf Köpfchen startet ein zweiter Spaziergang: Die Stadtwaldrunde. Zunächst geht es in die "Schleuse", das alte Zollhäuschen. Die 24-jährige Jeanne Weishaupt aus Aachen zeigt Foto- und Videoinstallationen. "Meine Aufgabe ist es im Prinzip, den Perspektivwechsel hinzubekommen. Dass die Besucher und Besucherinnern hierher kommen und durch die Naturaufnahmen, durch den Raum und die meditative Musik einfach ein bisschen den Blick ändern. Sie können sich öffnen, in den Wald gehen und diese Theaterspaziergänge miterleben".
Und so geht es mit freiem Kopf weiter, einmal über die Straße, direkt in den Wald. 1,5 Stunden dauern die Spaziergänge. Schauspielerin Line Lerho hüpft in einem leuchtend gelben Anzug durch das Unterholz. Die Eupenerin spricht die Spaziergänger direkt an. "Am Anfang war es nur eine kleine Rinne im Gras. Jede Gruppe, die diesen Weg mehrmals ging, hinterließ einen Pfad. So wie wir jetzt gerade in diesem Moment", erklärt die 42-Jährige.
Die 46-jährige Evelyne Verhellen aus Gent ist ebenfalls in bunten Farben unterwegs. Energiegeladen zeigt sie, wie Gewohnheiten auch mit Erinnerungen verknüpft sind. Am Fuße einer riesigen Buche erinnert sie sich an eine verflossene Liebe und schimpft auf Niederländisch. "De klootzak heeft me bedrogen" (Das A*** hat mich betrogen).
Gewohnheiten sind eben nicht immer rosig. "Ich versuche, so ein ganzes Spektrum von Gewohnheiten zu beleuchten. Und es gibt ja das, was uns im Positiven begleitet und das, was man vielleicht los werden möchte oder das, was man nicht los wird. Und das hier ist so ein Moment, der wird hier begonnen und der findet sich später wieder", sagt Regisseurin Nicole Erbe.
Den Gewohnheiten auf der Spur: Mit Theaterspazieren gelingt das auf ganz neue Weise.
Praktisches
Premiere der "Stadtwaldrunde" ist am Freitag, 6. Juni mit drei Vorführungen: um 11 Uhr, 15:30 Uhr und 19 Uhr.
Premiere der "Dorfrunde" durch Hauset ist am Freitag, 13. Juni mit drei Vorführungen: um 11 Uhr, 15:30 Uhr und 19 Uhr.Jeder Spaziergang wird an sechs verschiedenen Tagen mit je drei Vorführungen organisiert. Die Teilnehmerzahl ist auf 15 Personen begrenzt. Die Wege sind nicht barrierefrei. Hunde sind nicht erlaubt.
Tickets zum Theaterspazieren gibt es nur online auf der Seite Ticketree.
Mehr Infos zu Nicole Erbe und ihren Projekten auf ihrer Webseite.
Simonne Doepgen