Papier ist ein Alltagsgegenstand. Unser erster künstlerischer Ausdruck als Kleinkind erfolgt auf Papier. Also: im besten Fall. Es wird liebevoll gerahmt, wütend zerknüllt, entschlossen zerrissen und gedankenlos bekritzelt und bedruckt. Geradezu banal. Aber Papier kann auch politisch sein, findet IKOB-Direktor Frank-Thorsten Moll. "Politische Manifeste werden auf Papier geschrieben, Ideen werden auf Papier skizziert."
"In China, nach Corona, gab es die heftigsten Proteste, die die kommunistische Partei je gesehen hatte, als sich Nachbarschaften abends auf der Straße trafen und in die herbeigeeilten Kameras des Fernsehens und der Influencer leere weiße Blätter hielten. Zunächst wusste niemand, was man damit anfangen sollte. Und man kann ja auch keinen verhaften, weil er ein weißes Papier hochhält. Da ist ja keine Forderung drauf! Oder doch? Und da sind wir genau an dem Punkt, was Papier so mächtig macht. Das ist das Potential, das Papier hat."
Es war der Wunsch der beiden Künstler, sich aus unterschiedlichen Richtungen dem Thema Papier, Schnitt und Linie zu nähern. Jeder Schnitt sei eine Entscheidung, sagt Moll in seiner Einführung. Denn der Schnitt ist unwiderruflich.
"Man hat erst mal einen Raum, eine Fläche. Und daraus wird etwas geschnitten und formuliert. In dem Moment kriegt es wieder einen plastischen Aspekt und wird zu einem Raum", erklärt Dieter Call. Ein Schnitt ist auch eine Linie, sagt der Künstler. Die Linie kann trennen, aber auch verbinden. "Die Linie kann sich als Plastik im Raum fortarbeiten. Und in irgendeiner Form kann sie natürlich so trennen, dass etwas zu einem Hintergrund wird oder zu einem Vordergrund. Und vielleicht, wie in meinen Arbeiten oft, zu einer Form."
Die Linie ist zentral in den Werken von Dieter Call und Dorthe Goeden. Dieter Call arbeitet viel plastisch mit Holz. Das merkt man auch seinen Arbeiten mit Karton und Papier an. Er erschafft Formen. Die Arbeiten von Dorthe Goeden sind filigraner. Goeden zeichnet auf das Papier und zerschneidet es. Oft ermöglichen die Ausschnitte den Blick auf ein Bild im Hintergrund.
Papier ist geduldig - sagt man. Aber alles macht es nicht mit. An die Grenze des Belastbaren zu gehen, auch das reizt bei der Arbeit mit Papier. "Teilweise stelle ich auch sehr großformatige Papierschnitte her, die ähnlich filigran sind wie die kleineren Arbeiten, die Sie hier sehen", erzählt Künstlerin Dorthe Goeden. "Und dann zu testen: Was trägt sich noch? Wo ist die Grenze der Stabilität? Wo funktioniert das jetzt nicht mehr? Damit zu arbeiten, finde ich sehr spannend."
Beide Künstler hatten bereits 2016 beziehungsweise 2017 in der Galerie "Vornundoben" im Eupener Stadtteil Nispert ausgestellt. Sie selber hatten den Wunsch geäußert, etwas gemeinsam zu machen. Bei Galerist Benjamin Fleig liefen sie damit offene Türen ein.
"Die beiden passen ganz gut zusammen, denn ihre Gemeinsamkeit ist immer die Linie", meint Fleig. "Sie gehen beide immer von der Linie aus, von der Linie in den Raum. Und Räume müssen verhandelt werden. Und da dachte ich, innerhalb einer dialogischen Ausstellung, dass das ganz gut passen würde. Ich liebe die Arbeiten von Dieter, weil die eine strenge Verspieltheit haben. Und die von Arbeit von Dorthe ist so verspielt streng."
Die Ausstellung "Ab heute für immer" ist zu sehen bis zum 27. Oktober in der Galerie "Vornundoben" in Eupen. Geöffnet am ersten Oktober-Wochenende zur "Open Art Sunday", bei Veranstaltungen oder jederzeit auf Termin. Mehr Infos gibt es auf der Webseite der Galerie "Vornundoben".
Gudrun Hunold