Vom Bürgerkrieg in Sri Lanka hinein in das explosive Gemisch aus Armut, Drogen und Straßenkämpfe der Vororte von Paris. In "Dämonen und Wunder - Dheepan" wechselt der französische Filmemacher Jacques Audiard von einem Kriegsschauplatz zum anderen. Dabei übt er - hochaktuell - heftige Kritik an Frankreichs Flüchtlingspolitik, obwohl es ihm in seinem Drama eigentlich um eine Liebesgeschichte geht.
Erzählt wird das Leben von Dheepan, der aus Sri Lanka flieht und in Frankreich auf einen Neustart hofft, weit weg von Krieg und Blutvergießen. Dheepan kämpfte lange Jahre an der Seite der Rebellenorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) für einen von tamilischen Separatisten geforderten Staat. Mit dem Namen und der Identität eines Toten will er seine Heimat verlassen. Um seine Chancen für eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhöhen, gibt er sich als Vater aus. Er bittet die junge Frau Yalini und das Waisenkind Illayaal, die er im Flüchtlingscamp kennenlernt, seine Alibi-Familie zu sein.
Keine politische Botschaft
Er habe keinen Film mit einer politischen Botschaft gedreht, sagte Audiard nach der Weltpremiere seines Dramas beim diesjährigen Festival in Cannes. Er sei noch nie in Sri Lanka gewesen und über den Kampf der Rebellen der Tamil Tigers für einen unabhängigen Staat wisse er nur wenig. "Ich wollte die Geschichte von Menschen erzählen, die sich vor dem Hintergrund von Dramen näher kommen", erklärte der Filmemacher und Drehbuchautor.
Das ist dem 63-Jährigen gelungen. Denn die Konflikte innerhalb des Trios und Versuche der gegenseitigen Annäherung klingen ständig mit. Audiard zeigt, was jeder aus dieser Kleingruppe vermisst und ersehnt, während sie in Frankreich in ein Vorstadtghetto gesteckt werden.
Dheepan, der als Hausmeister in einem Sozialbau beschäftigt wird, versucht seine Vergangenheit zu vergessen und passt sich fast unterwürfig an. Yalini reagiert ablehnend auf Frankreich. Sie träumt von England, wo ihr Cousin lebt und fühlt sich in ihrer Mutterrolle unwohl. Und die neunjährige Illayaal verzehrt sich nach Liebe und Geborgenheit. Als Yalini ungewollt in den Banden- und Drogenkrieg des Ghettos verwickelt wird, läuft Dheepan Amok. Unterdrückte Emotionen eskalieren, denn Dheepan hat in seiner Heimat schon einmal Frau und Kinder verloren.
Siegermannschaft ausgetauscht
Audiard zeichnet mit seinem Film eine für ihn ungewöhnliche Mischung aus Flüchtlingsdrama, Sozialkrise und Liebesgeschichte. Er wollte sich erneuern, wie er in Cannes erklärte. Dazu gehört auch, dass er nicht mehr mit Thomas Bidegain zusammenarbeitet, der zu seinen beiden Erfolgsfilmen "Ein Prophet" und "Der Geschmack von Rost und Knochen" das Drehbuch schrieb. Erstmals arbeitet Audiard auch nicht mit bekannten Schauspielern wie Marion Cotillard, Emmanuelle Devos oder Niels Arestrup zusammen. Wolle man sich erneuern und neue Herausforderungen suchen, müsse man eine Siegermannschaft manchmal austauschen, erzählte Audiard weiter.
Hauptdarsteller Jesuthasan Antonythasan steht in "Dämonen und Wunder - Dheepan" erst zum zweiten Mal vor der Kamera. Er war nach eigenen Angaben selbst ein Kindersoldat der LTTE und flüchtete über Thailand nach Frankreich, wo er noch heute lebt. In Frankreich Fuß zu fassen, sei schwer gewesen, auch heute noch fühle er sich nicht so richtig wohl, wie er auf der Pressekonferenz in Cannes gestand.
Audiard wurde in Cannes bereits für "Ein Prophet" und "Das Leben: Eine Lüge" nominiert und ausgezeichnet. Gewonnen hat er die Goldene Palme in diesem Jahr dann mit seinem Flüchtlingsdrama - auch wenn es nicht sein bester Film ist. Das Werk ist wegen seiner hochaktuellen Inhalte sehenswert und auch wegen seiner eindringlichen Bilder. Dass sich das Trio als glückliche Familie zusammenfindet, tut der Seele gut. Dass sie schließlich in England ihr Heimat- und Integrationsglück finden, wirkt jedoch wie durch eine rosarote Brille.
Von Sabine Glaubitz, dpa - Bild: Valerie Macon/AFP