Wenn man das Werk von Woody Allen mit einem Haus vergleichen würde, hätten wir einen efeubewachsenen Altbau mit geräumigen Zimmer und vielen Büchern vor uns. Bevölkert wird das Domizil von Akademikern oder Künstlern weißer Hautfarbe, die nicht unter materiellen Sorgen leiden, aber unter ihrem Liebesleben.
Attraktive junge Frauen, gespielt von Stars wie Scarlett Johansson, Penélope Cruz oder in diesem Fall Emma Stone, verdrehen eher schwachen Männern den Kopf. Zum Glück passiert ab und an ein Mord. Oder wenigstens ein Ehebruch.
Woody Allens "Irrational Man", der neue Film des New Yorker Regisseurs, der am 1. Dezember seinen 80. Geburtstag feiert, beginnt sehr betulich. Der ausgebrannte Philosophie-Professor Abe Lucas (Joaquin Phoenix) kommt an ein Kleinstadt-College und wird sofort von den Frauen umlagert. Seine frustrierte Kollegin Rita (Parker Posey) schafft es nach einigem Geplänkel, den antriebsschwachen, aber trinkfreudigen Denker in ihr Bett zu bugsieren, wo Abe prompt versagt.
Dieser Typ ist wirklich in der Krise, aber zum Glück gibt es ja die hübsche Studentin Jill (Emma Stone), die zwar einen festen, gleichaltrigen Freund (Jamie Blackley) hat, sich aber trotzdem in das zaudernde Weichei Abe verliebt. Als beide in einem Diner von den Missetaten eines skrupellosen Richters erfahren, keimt in Abe ein fataler Plan.
Eine gute halbe Stunde lang plätschert diese harmlose Campus-Komödie, untermalt von nettem Jazz-Gedudel, so vor sich hin, bis der Zufall den Philosophen aus seiner Depression lockt: Darf man einen schlechten Menschen, der Unheil über andere bringt, aus der Welt schaffen? Abe glaubt fest an seine amoralische These, ist plötzlich Feuer und Flamme und heckt einen perfiden Giftmord aus.
Woody Allen wandelt jetzt gut erkennbar auf Alfred Hitchcocks Spuren. Er greift das Thema des scheinbar motivlosen Mordes aus "Der Fremde im Zug" (1951) ebenso auf wie die krude Übermenschen-Ideologie, die einen Mord rechtfertigen soll, aus dem Klassiker "Cocktail für eine Leiche" (1948) mit James Stewart.
Seinem Film tun diese Anleihen sichtlich gut, Tempo und Spannung kommen in die Sache. Der bislang eher lustlos und distanziert agierende Joaquin Phoenix ("Her", "Inherent Vive - Natürliche Mängel") lässt Worte Worte sein, entdeckt prompt den Tatmenschen in sich, geriert sich im Bett fortan als viriler "Höhlenmensch", und tritt den Beweis an, dass Verbrechen auch nur Kleinigkeiten sind. Praktische Philosophie à la Woody Allen.
Seine Verehrerin Jill versteht die Welt nicht mehr. Emma Stone stattet die hochbegabte, musikalische, verständnisvolle Studentin Jill mit der nötigen Bodenhaftung aus, obwohl es sicherlich für eine Schauspielerin nicht so einfach sein dürfte, eine so abgehobene Fantasiegestalt zu verkörpern. Die Kamera umgarnt sie fast den ganzen Film hindurch, bevorzugt wandelt Stone in kurzen, altmodischen Sommerkleidern durch die Szenerie. Und dennoch entwickelt sie genug Power, um dem entfesselten Philosophen Paroli zu bieten. Das läuft richtig rund bis zum spannenden Showdown.
Die Wortgefechte und Bonmots in diesem immer noch stilsicheren Alterswerk wirken allerdings längst nicht mehr so geschliffen wie früher. Nur ab und an blitzt Allens Brillanz in ihrer Schärfe noch einmal auf. Hübsch anzuschauen und auch kurzweilig ist "Irrational Man" dennoch geraten - in Woody Allens geräumigem Haus aus Filmen verbringt man gern jedes Jahr zwei Stunden.
Von Johannes von der Gathen, dpa - Archivbild: Guillaume Horcajuelo (epa)