Kann man heute einen James-Bond-Film aus den 60er, 70er oder auch 80er Jahren halbwegs ernst nehmen? Die Macho-Sprüche sind nicht mehr lustig. Die hilflosen Frauen sind nicht mehr sexy. Das Agenten-Spielzeug ist nicht mehr cool. James Bond hätte in der Mottenkiste landen können. Aber dann kam Daniel Craig.
Er rettete nicht nur die Welt, wie es sich für Bond gehört, sondern auch die Marke 007. Nach dem Megaerfolg von "Skyfall" vor drei Jahren musste das Team nachlegen. Mit "Spectre" hat es geliefert. "Man weiß, was man bekommt, aber es ist jedes Mal ein bisschen anders", erklärte Ben Whishaw, der seit "Skyfall" den MI6-eigenen Nerd und Bastler spielt, das Erfolgsrezept.
Seit mit "Casino Royale" 2006 buchstäblich eine neue Bond-Zeitrechnung angefangen hat, bekommen die Zuschauer nicht mehr nur Verfolgungsjagden, schöne Frauen und Schurken, die am Ende verlieren. Auch Bonds Vergangenheit ist inzwischen ein zentrales Erzählelement. So auch in "Spectre". Der Film schließt an "Skyfall" an und damit einerseits an Bonds Reise in seine Kindheit, andererseits an den Tod von MI6-Chefin M (Judi Dench). Sie hat dem Agenten mit der Lizenz zum Töten einen Auftrag hinterlassen. Dieser brockt Bond allerhand Ärger mit seinem Arbeitgeber ein, beschert den Zuschauern aber eine erste atemberaubende Actionszene in einem Hubschrauber über Mexiko-Stadt.
Der neue M (Ralph Fiennes) ist deshalb sauer und suspendiert Bond vom Dienst. Was diesen natürlich nicht davon abhält, einer geheimen Terrororganisation mit Oktopus-Logo auf die Spur zu kommen - "Spectre". M hat derweil eigene Probleme: Mit Max Denbigh oder auch C taucht ein Bürokrat auf der MI6-Bildfläche auf, der nicht an Doppelnull-Agenten glaubt, sondern an Kontrolle durch totale, international vernetzte Überwachung. Das klingt nach NSA und GSHQ, Prism und Tempora.
Regisseur Sam Mendes, der sich nach einigem Zögern zu einem weiteren Bond überreden ließ, setzt das Thema Datensicherheit und Überwachung kühl und furchteinflößend in Szene. Whistleblower Edward Snowden wird an diesem Film seine Freude haben. Nicht mehr die stärksten Waffen geben Menschen Macht, sondern Information. C weiß alles und hört alles. Außerdem ist Andrew Scott, bekannt als Moriarty aus der Serie "Sherlock", eine herrlich boshafte Bereicherung für die Seite der Bösen. Auch wenn Bonds Widersacher natürlich ein anderer ist.
Waltz glänzt erneut als Bösewicht
Um die Personalie Christoph Waltz und seine Rolle als Franz Oberhauser rankten sich vorab die meisten Spekulationen. Am Talent des 59-Jährigen, Fieslinge zu spielen, zweifelt seit Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" niemand. "Die Bösen machen dann am meisten Angst, wenn sie ganz normal aussehen", sagte der zweifache Oscarpreisträger kürzlich in einem Interview.
Das setzt er in "Spectre" mit Bravour um. Vom ersten Licht, das in einem Palazzo auf sein Gesicht fällt, über das "Kuckuck", das er Bond bei der ersten Begegnung entgegen flötet, bis zur alptraumhaften Szenerie, die er für seinen Intimfeind in der verlassenen MI6-Zentrale entwirft: Waltz ist ein meisterhaft stilvoller Schurke, der Bond erst richtig glänzen lässt. Nicht zuletzt in der Folterszene - die anders ist als in "Casino Royale", in der Bond nackt auf einem Stuhl ohne Sitzfläche verprügelt wird, aber ebenso fies.
Craigs Bond dagegen ist, wie ihn die Fans (inzwischen) lieben: ein Gentleman, männlich und humorvoll, aber verletzlich. Er trägt schwer an der Last seiner Vergangenheit und scheut keinen Körpereinsatz. Auf der langen Liste der Blessuren, die Craig sich bei seinen vier Bond-Filmen zugezogen hat, steht nun eine Knieverletzung mehr. Der Schauspieler musste nach der Nahkampf-Szene mit dem ehemaligen Wrestler Dave Bautista alias Mr. Hinx sogar operiert werden.
Die schönen Frauen an Bonds Seite sind diesmal die italienische Witwe Lucia Sciarra (Monica Bellucci) und die Psychologin Madeleine Swann (Léa Seydoux). Beide brauchen Schutz, wie sich das für ein Bond-Girl gehört, aber beide haben auf ihre Art Stil und Courage. Eine weitere Frauenrolle gewinnt in "Spectre" erneut an Tiefe: Moneypenny, von der dümmlichen Vorzimmerdame der 60er und 70er inzwischen zur Agentin im Innendienst avanciert, hat erstmals erkennbare Interessen außerhalb des Geheimdienstes. "Man nennt es Leben", belehrt sie ihren Chef.
Was macht diesen Film so gut? Nicht die Logik der Handlung oder die psychologische Tiefe, schließlich ist "Spectre" ein Bond-Film. Es ist das Gesamtpaket. Craig und Waltz in Bestform, funktionierende Gags ohne Albernheit, spektakuläre Stunts und Materialschlachten ohne Größenwahn, großartige Filmmusik, beeindruckende Aufnahmen aus Mexiko, Marokko, Rom, London und den österreichischen Alpen. Kurz: Zweieinhalb Stunden Kinovergnügen.
Von Teresa Dapp, dpa - Bilder: Miguel Medina, Leon Neal/AFP