Porträts von Kindern mit riesigen, traurigen Kulleraugen wirbelten in den 1960er Jahren die Kunstszene in den USA auf. Viele Kritiker taten sie als Kitsch ab, doch die sentimentalen Bilder wurden als Kunstphänomen zum Verkaufshit. Egal, ob man die Großaugen-Porträts mag oder scheußlich findet, hinter den "Big Eyes" steckt eine faszinierende, bizarre Geschichte. Regisseur Tim Burton ("Dark Shadows") hat die Story über Margaret und Walter Keane und einen der größten Kunstskandale mit Amy Adams und Christoph Waltz brillant verfilmt.
Burton liebt das Schräge, das hat der amerikanische Regisseur schon mit Filmen wie "Edward mit den Scherenhänden" und "Frankenweenie" bewiesen. Doch jetzt ist die wahre Vorlage schon so unglaublich absurd, dass er seine Fantasie gar nicht groß anstrengen musste.
Margaret (Adams) schlägt sich Mitte der 1950er Jahre als alleinerziehende Mutter in San Francisco durch. Malen ist ihre Leidenschaft. Ihr Motto: Die Augen sind das Fenster zur Seele - all ihre Figuren haben riesige, triste Augen. Sie verliebt sich in den wortgewandten Charmeur und angeblichen Künstler Walter Keane (Waltz), der kurz nach der Heirat ihre Bilder populär macht. Es dauert nicht lange, bis er bei den Kunden ihre Bilder als seine Werke ausgibt. Die Lügen werden immer dreister. Er sonnt sich in dem Ruhm, ein Pop-Art-Star zu sein, sie muss zu Hause malen.
Er vergleicht sich im Interview mit El Greco, sie macht den Schwindel unter seinem Druck jahrelang mit. Die Ehe wird zur Tortur, das Lügennetz zieht sich zu. Erst nach der Scheidung kommt die Wahrheit ans Licht. Vor Gericht klagt sie die Rechte an ihren Werken ein.
Besser hätte Burton die Rollen nicht besetzen können. Waltz betört und verschreckt mit seinem charmanten Doppelspiel. "Haargenau wie der lebendige Walter", attestiert ihm die heute 87 Jahre alte Keane im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Kein Wunder, dass die Künstlerin und zig-Tausende Käufer auf "seine" Bilder reinfielen. Adams ist auf eine stille, verstörte Weise das perfekte Opfer. "Manchmal muss sie gar nichts sagen, sie spielt nur mit den Augen", sagt Keane. "Genauso habe ich das damals empfunden, ich fühlte mich so schuldig".
Zur Belohnung für ihren Auftritt gab es für Adams einen Golden Globe als beste Darstellerin, allerdings in der Sparte Komödie. "Big Eyes" hat tatsächlich komische, beschwingte und satirische Momente. Etwa, wenn Walter bei einem Künstlerempfang mit einer Gabel auf einen Kritiker (Terence Stamp) zugeht. Der hatte sich erdreistet, die Kulleraugen Kitsch zu nennen.
Doch Burton und seine Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski, die 1994 für den Regisseur schon "Ed Wood" zu Papier brachten, machen sich glücklicherweise nicht über ihre Charaktere lustig. Dafür ist der schillernde Fall von Betrug und ehelichem Missbrauch doch zu ernst und irgendwie traurig.
Keane, die ihrem im Jahr 2000 gestorbenen Ex-Mann nach eigenen Angaben verziehen hat, wollte keine überzogene Hollywood-Farce. Burton, der bei ihr schon Jahre vor dem Drehstart Bilder kaufte, habe sie ihre Lebensgeschichte gerne anvertraut, erzählt Keane. "Walter war echt durchgeknallt. Er lügte so viele Jahre lang, dass er seine Lügen selber glaubte. Hätten wir sein Benehmen bei dem Prozess wahrheitsgetreu nachgestellt, dann hätte uns das niemand geglaubt." Keane muss es wissen: "Walter war noch seltsamer drauf, als der Film es rüberbringt". Wie gut, dass sich Burton beherrscht hat. "Big Eyes" ist eine packende Story mit reichlich Witz und Drama, ohne skurrile Überfrachtung.
Von Barbara Munker, dpa - Foto: Bob Van Mol