Draußen der graue Berliner Winter, drinnen das ewige Eis der Arktis. Zum Auftakt der 65. Berliner Filmfestspiele wurde es am Donnerstagabend im Berlinale-Palast frostig, aber dennoch leidenschaftlich.
Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche (50) nahm die Festivalzuschauer im Eröffnungsfilm "Nobody Wants the Night" (Niemand will die Nacht) mit nach Grönland - und mit auf eine bildgewaltige Reise voller Abenteuer, Gefahren, Schmerz, Liebe und Selbstfindung.
Mit der Weltpremiere des packenden Dramas der spanischen Regisseurin Isabel Coixet ("Mein Leben ohne mich") wurde das Rennen um den Goldenen und die Silbernen Bären eröffnet, die am 14. Februar vergeben werden. Coixet konkurriert mit 18 weiteren Filmemachern im offiziellen Wettbewerb um die Berlinale-Trophäen.
Coixets Drama, von der wahren, aufregenden Lebensgeschichte einer starken Frau inspiriert, lebt von seiner starken Hauptdarstellerin. Die Französin Binoche ("Die Wolken von Sils Maria", "Der englische Patient") spielt in dem Film die US-amerikanische, exzentrische High-Society-Lady Josephine Peary, die im Jahr 1908 ihrem heiß geliebten Mann, dem berühmten Arktis-Forscher Robert Peary, ins ewige Eis nachreisen will. Gegen alle Warnungen bricht sie gemeinsam mit dem Forscher Brum (Gabriel Byrne, "Miller's Crossing") Richtung Nordpol auf.
Die ehrgeizige Josephine - nicht unbedingt eine Sympathieträgerin - erreicht dann aber nur das Basislager ihres Mannes in der arktischen Abgeschiedenheit Grönlands. Dort trifft sie auf die Inuit-Frau Allaka (Rinko Kikuchi, "Naokos Lächeln"), die ein Kind von Josephines Mann erwartet. Gemeinsam kämpfen die Frauen gegen den hereinbrechenden Winter - und die stolze, von sich eingenommene Josephine muss erfahren, dass sie sich nicht alles unterordnen kann, nicht Allaka und vor allem nicht die Natur.
Coixet, die mit dem Filmemachen begann, als sie zur Erstkommunion eine 8-Millimeter-Kamera geschenkt bekam, rückt das Schicksal zweier extrem unterschiedlicher Frauen in den Mittelpunkt. Dabei spart sie nicht mit Pathos - die entsprechenden Szenen sind mit dramatischer Musik unterlegt. "Nobody Wants the Night" ist eine spanisch-französisch-bulgarische Koproduktion, gedreht wurde unter anderem in Norwegen.
Als sie das Drehbuch gelesen habe, habe sie an Filmemacher Ingmar Bergman gedacht - "der Frauen so gut porträtieren konnte und keine Angst vor der weiblichen Seite hatte", sagte Binoche. Regisseurin Coixet ist für Binoche eine Malerin mit der Kamera. "Sie dringt in die Welt ein, gibt dabei aber keine Befehle, sondern lässt die Dinge im Fluss. Als Schauspielerin weißt Du nie, wie dann gerade die Kameraeinstellung ist. Und das ist gut so, weil man jederzeit voll dabei sei muss."
Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte der Berlinale, dass das Festival von einer Regisseurin eröffnet wird. Zuletzt war 1995 die deutsche Filmemacherin Margarethe von Trotta ausgewählt worden, zum Berlinale-Auftakt ihr Drama "Das Versprechen" zu zeigen. In diesem Jahr stammt gut ein Viertel der insgesamt 441, in verschiedenen Festival-Reihen laufenden Berlinale-Filme von Regisseurinnen.
Die Spanierin Coixet und die Französin Binoche sind echte Berlinale-Stammgäste. Coixet hat bereits sechs Mal ihre neuen Filme auf dem Festival gezeigt, das Drama "Mein Leben ohne mich" über die letzten Wünsche und Erledigungen einer krebskranken Frau und "Elegy" nach dem Roman "Ein sterbendes Tier" von Philip Roth liefen in der offiziellen Bären-Konkurrenz. Binoche hat ebenfalls schon mit sechs ihrer Filme Premiere bei der Berlinale gefeiert, darunter mit "Chocolat", "Der englische Patient" und "Die Liebenden von Pont-Neuf".
Mehr als 1600 Gäste waren zur Eröffnungsgala mit Festivaldirektor Dieter Kosslick und Comedystar Anke Engelke in den Berlinale-Palast gekommen - darunter Hollywoodstar James Franco ("The Interview") und Oscar-Preisträger Christoph Waltz. Bei der Gala wurde auch die internationale Jury vorgestellt, die über die Bären-Gewinner entscheiden wird. In dem Gremium sitzen unter anderem die französische Darstellerin Audrey Tautou und "Mad Men"-Erfinder Matthew Weiner. Bei dem elftägigen Festival werden auch Stars wie Nicole Kidman, Robert Pattinson, Natalie Portman, Helen Mirren und Ian McKellen erwartet.
Von Elke Vogel, dpa - Bild: Tobias Schwarz/AFP