Man würde Sandra gerne Mut zusprechen, wenn sie sich resigniert ins Bett verkriecht, oder sie vor Wut anschreien, wenn sie wieder verzweifelt zu ihren Antidepressiva greift. Für Sandra steht viel auf dem Spiel. Sie wird ihren Job verlieren, sollten ihre Kollegen nicht auf ihre diesjährige Prämie verzichten. Mit "Zwei Tage, eine Nacht" zeichnen Jean-Pierre Dardenne und Luc Dardenne ein Sozialdrama, das ihre unverwechselbare Handschrift trägt: ein Dardennescher Realismus mit großer Menschlichkeit. Marion Cotillard in der Rolle als Sandra verblüfft. Die französische Oscarpreisträgerin ("La vie en rose") spielt ungeschminkt und mit ungewohnter Zurückgenommenheit.
Mit 13 zu 3 haben sich die Kollegen für ihre Bonusauszahlung entschieden. Ein Schlag ins Gesicht für Sandra, die zuvor wegen depressiven Störungen mehrere Wochen krankgeschrieben war. Wegen unzulässiger Einflussnahme eines Kollegen erlaubt ihr die Geschäftsführung des Kleinunternehmens, ein zweites Votum am Montagmorgen zu organisieren. Sandra bleibt nur das Wochenende, um ihre Kollegen zu überreden, auf die 1000 Euro zu verzichten.
Und so geht die verheiratete Mutter von zwei Kindern betteln um Solidarität. Zwei Tage und eine Nacht dauert ihr Kampf voller Verzweiflung, Erniedrigung, aber auch Zuspruch und Hoffnung. Jede Tür, die sich Sandra öffnet, gibt Einblick in das Leben und Nöte ihrer Kollegen. Die einen wollen mit der Prämie ihr Haus weiterbauen, die anderen müssen damit die Miete abstottern oder die Ausbildung für die Kinder.
Es ist das erste Mal, dass Cotillard mit den Dardenne-Brüdern dreht. Eine Zusammenarbeit, die die 39-Jährige als Symbiose bezeichnete. "Sie gaben mir alles, was ich in einem Film suche. Tiefe, Detailarbeit und Authentizität", sagte die Schauspielerin in einem dpa-Interview in Cannes, wo der Film auf dem diesjährigen Festival gezeigt wurde.
Menschlichkeit und Solidarität in Zeiten wirtschaftlicher Krise: "Zwei Tage, eine Nacht" galt auf der Croisette als ein Favorit für die Goldene Palme. Nach "Rosetta" und "Das Kind" wäre es für die belgischen Sozialphilosophen die dritte Trophäe gewesen. Die Auszeichnung ging an "Winterschlaf" des Türken Nuri Bilge Ceylan. Doch "Zwei Tage, eine Nacht" bleibt, was es ist: Ein weiterer Spitzenfilm der Dardenne-Brüder.
Marion Cotillard: "Ich bin ein Arbeitstier"
Marion Cotillard (39) bekam für "La vie en rose" den Oscar als beste Schauspielerin. Sie zählt zu den bestverdienenden Darstellerinnen Frankreichs. Dennoch fehle es ihr an Selbstvertrauen, wie die Französin in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa und anderen Medien gestand.
In dem Film spielen Sie eine junge Frau, die verzweifelt um ihren Job kämpft. Haben Sie um Ihre Karriere kämpfen müssen?
Cotillard: Ich habe bislang um nichts kämpfen müssen, zumindest nicht ums Überleben oder um Rollen. Ich habe mir meine Karriere hart erarbeitet, weil ich kein Vertrauen in mich habe.
Sie sind mehrfache Preisträgerin und haben kein Selbstvertrauen?
Cotillard: Ich bin ein Arbeitstier. Ich weiß nie, ob ich die Rolle auch spielen kann. Arbeit ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. "Zwei Tage, eine Nacht" ist der erste Film mit den Brüdern Dardenne. Würden Sie wieder mit den beiden Belgiern drehen? Cotillard: Wir waren in Symbiose miteinander. Sie gaben mir alles, was ich in einem Film suche. Tiefe, Detailarbeit und Authentizität.
Wie haben Sie sich auf dieses Thema vorbereitet?
Cotillard: Ich habe keine Arbeitsmethode. Für jeden Film bereite ich mich anders vor, je nach Thema. Hier handelt es sich um die Gesellschaft, in der ich lebe und für die ich mich interessiere.
Was hat Ihnen an Sandra, der jungen Frau, besonders gefallen?
Cotillard: Dass sie nicht aufgibt. Sie verzweifelt, resigniert streckenweise, doch kämpft sie verbissen weiter. Ich mag Kämpfernaturen.
ZUR PERSON: Marion Cotillard wurde am 30. September 1975 in Paris geboren. Sie stammt aus einer Schauspielerfamilie. Ihre ersten Rollen bekam sie als Sechsjährige. Weitere bekannte Filme sind "Der Geschmack von Rost und Knochen" (2012) und "Contagion" (2011).
Sabine Glaubitz, dpa - Bild: Virginie Lefour (belga)