Was bitte haben Filme wie "Brokeback Mountain", "Sinn und Sinnlichkeit", "Crouching Tiger and Hidden Dragon", "Das Hochzeitsbankett", "Der Eissturm" oder "Taking Woodstock" gemeinsam? Eigentlich nichts, außer dass sie alle von dem taiwanesischen Regisseur Ang Lee inszeniert wurden.
Wenn man aber näher hinguckt, bemerkt man, dass es dem Regisseur immer gelingt, sich in die Lebensumstände der von ihm gezeichneten Figuren hineinzufühlen und dieses Gefühl auch auf den Zuschauer zu übertragen.
Ob junge Frauen, die Anfang des 19. Jahrhunderts um ihre Existenz bangen müssen, oder schwule Cowboys, die in den 60er Jahren ihre Liebe verstecken müssen, ob junge Musikliebhaber, die in Woodstock den Traum von einer besseren Welt zelebrieren, oder kämpferische Asiaten, die von Baum zu Baum springen, sie alle sind Teil von Ang Lees wunderschöner Bilderwelt.
Und wunderschöne Bilder gibt es auch diesmal wieder. "Life of Pi" ist ein orientalisches Märchen, in dem ein Jugendlicher bei einem Schiffsunglück seine Familie verliert und an Bord eines Rettungsbootes versuchen muss, mitten im Pazifischen Ozean zu überleben. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich das Boot mit einem Zirkustiger teilen muss, der genau so viel Hunger hat wie er.
Nach der Vorschau hatte ich eigentlich keine Lust, mir den Film anzuschauen, weil Märchen und Filme mit Tieren nicht wirklich meine Kragenweite sind. Aber ich habe es nicht bereut: Ang Lee ist es wieder einmal gelungen, seine Zuschauer zu fesseln, und so manche Szene ist wirklich furchterregend. Ich finde, der Tiger sollte auf jeden Fall für einen Oscar nominiert werden, denn er spielt seine Rolle sehr überzeugend. Und wer möchte, kann auch einige theologische Gedanken aus der Geschichte mit nach Hause nehmen, nach dem Motto: Was wir aus einer Bootsfahrt mit einem Tiger so alles lernen können ...
Bild: Andrew Cowie (afp)