Was den besten Film angeht, so besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass "The Artist", das nostalgische Stummfilmmärchen aus Frankreich, den Oscar erhalten wird.
In den anderen wichtigen Kategorien ist die Situation weniger eindeutig. Nehmen wir sie uns mal vor.
Beste Regie
Meistens geht der Regie-Oscar an den Regisseur, der den besten Film gedreht hat. Aber es gibt Ausnahmen, zuletzt 2006 ("Crash", Ang Lee für "Brokeback Mountain"), 2003 ("Chicago", Roman Polanski für "The Pianist"), 2001 ("Gladiator", Steven Soderbergh für "Traffic") und 1999 ("Shakespeare in Love", Steven Spielberg für "Saving Private Ryan").
Die Oscars könnten dem unbekannten französischen und schwer auszusprechenden Michel Hazanavicius den allseits beliebten Martin Scorsese vorziehen und ihm einen zweiten Oscar zuerkennen, sozusagen für seine ganze Karriere. Außerdem hat sein Film "Hugo" eine Nominierung mehr als "The Artist". Und: seit 1969 ("Oliver") ist kein Regisseur mehr für einen Film ausgezeichnet worden, der bei den Golden Globes unter Komödie/Musical eingestuft wurde wie "The Artist".
Bester Hauptdarsteller
Zur Zeit sieht es so aus, als würde Jean Dujardin das Rennen machen. Er hüpft von einer Talk-Show zur nächsten und betört alle Amerikaner mit seinem französischen Lausbubencharme. Falls jedoch genügend Wähler hiergegen immun sein sollten, stellt sich die Frage: Wem könnte das nützen? Clooney hat im Vorfeld mehr abkassiert als Pitt, aber er hat schon einen Oscar (Nebenrolle für "Syriana", 2006). Pitt ist noch ohne Oscar. Beide haben ihr Image des "zu schönen Mannes, um als ernsthafter Schauspieler wahrgenommen zu werden" überwunden und beide sind äußerst aktiv in karitativen Angelegenheiten.
Beste Hauptdarstellerin
Was immer auch passiert, Meryl Streep hat auf jeden Fall gewonnen: entweder sie erhält ihren langverdienten dritten Oscar oder es gewinnt die schwarze Schauspielerin Viola Davis, für die Streep sich in den letzten Wochen ganz offen eingesetzt hat. Beide kennen sich von den Dreharbeiten zu "Doubt" (2008) und Meryl Streep fordert schon seit längerem richtige Hauptrollen für schwarze Darstellerinnen. Genau hier liegt allerdings der Knackpunkt: Viola Davis hat in dem Ensemble-Film "The Help" nicht wirklich eine Hauptrolle, während Streep als Maggie Thatcher wahrscheinlich in jeder Szene zu sehen ist.
Bester Nebendarsteller
Christopher Plummer ist ein hochbetagter verdienstvoller Mime, der schon lange einen Oscar verdient hat. Doch wer wurde auch nominiert? Max von Sydow, ein hochbetagter verdienstvoller Mime, der schon lange einen Oscar verdient hat. Oooops. Beide sind zum zweiten Mal im Rennen. Von Sydows Film ist als bester Film nominiert, während der Plummer-Film "Beginners" nicht wirklich von vielen gesehen wurde. Außerdem kommt Plummer manchmal als etwas zynisch-arroganter Brite 'rüber, wogegen ich über den Schweden von Sydow noch nie etwas Negatives gelesen habe. Werden die Oscars sich den Kritikern anschließen (Plummer) oder für eine Überraschung sorgen?
Beste Nebendarstellerin
Octavia Spencer (The Help) ist nach dem Film "The Artist" die zweitsicherste Kandidatin in den sechs Hauptkategorien. Sollte die kleine rundliche lustige Schauspielerin nicht gewinnen, wäre das schon eine größere Überraschung. Aber vielleicht sollte man die Rechnung nicht ohne Jessica Chastain machen, die auch für "The Help" nominiert ist und die so ziemlich in jedem Film zu sehen war, der in den letzten Monaten in die Kinos kam, u.a. in dem als bester Film nominierten "Baum des Lebens".
Meine Prognose
The Artist
Martin Scorsese
Jean Dujardin
Viola Davis
Christopher Plummer
Octavia Spencer
Aber es würde mich nicht vom Hocker kauen, wenn es so aussehen würde:
The Artist
Michel Hazanavicius
George Clooney (oder Brad Pitt)
Meryl Streep
Max von Sydow
Jessica Chastain
Wait and see!
Frank Vandenrath - Bilder: afp