Terrence Malick hat in knapp 40 Jahren nur fünf Filme gedreht:
- Badlands (1973), ein Road- und Gangstermovie mit den damals noch relativ unbekannten Darstellern Martin Sheen und Sissy Spacek
- Days of Heaven (1978), eine tragische Betrugs- und Liebesgeschichte mit dem damals noch relativ unbekannten Richard Gere
- The Thin Red Line (1998), die Verfilmung eines Romans von James Jones über eine Episode des Zweiten Weltkriegs im Pazifik mit vielen Guest-Stars wie Sean Penn, John Travolta, George Clooney oder Nick Nolte
- The New World (2005), die Geschichte von Captain Smith und der Indianerprinzessin Pocahontas, mit Colin Farrell
- The Tree of Life (2011), eine Aufarbeitung seiner Kindheit mit Brad Pitt und Sean Penn
Sein fünfter Film hat jetzt die Goldene Palme bei den Festspielen von Cannes gewonnen. Warum?
Verschiedene Bausteine
Ich habe den Film gesehen und werde versuchen, Ihnen meine Eindrücke zu schildern. In den ersten 20 Minuten erleben wir eine Einführung in das Thema: Auf der einen Seite erfahren wir, dass einer der Söhne von Brad Pitt und Jessica Chastain gestorben ist, auf der anderen Seite erleben wir, wie einer der beiden überlebenden Brüder (Sean Penn) Jahre später versucht, seine Kindheit aufzuarbeiten. Das alles ohne viel Dialoge, mit stimmungsvollen unkonventionellen Einstellungen, die neugierig auf die Fortsetzung des Films machen.
Cut. In den nächsten 20 Minuten zeigt uns der Regisseur Bilder von Naturschauspielen: Sonnenaufgänge, Vulkanausbrüche, Vögel und Wolken am Himmel, usw. Man fragt sich, ob der Vorführer nicht irgendwie die Rollen vertauscht hat und statt des eigentlichen Films Ausschnitte aus "National Geographic" präsentiert. Und da man nicht weiß, ob das jetzt den ganzen Film über so weiter geht, überlegt man ernsthaft, ob man das Kino nicht besser verlassen sollte. Die Sequenz gipfelt in einer (schlechten) Trickanimation mit kleinen Dinsoauriern. Hallo, ist das hier etwa "2001 - Odyssee im Weltraum" oder "Koyannisquatsi"?
Cut. Als man es kaum noch zu hoffen wagte, erzählt der Film plötzlich seine Geschichte. Allerdings ist die relativ banal angesichts des vielversprechenden Openings, in dem so grundlegende Themen wie die Entstehung des Universums oder der Sinn des Lebens angerissen wurden. Es handelt sich um einen Vater in den 50er Jahren, der zu streng mit seinen Söhnen umgeht. Der Junge, der überlebt, fragt sich jetzt 90 Minuten lang, ob die Wahrheit des Lebens und sein Charakter mehr der strengen Vision des Vaters oder der liebenden Art der Mutter entsprechen. ("Beides, Kind, beides, find' Dich damit ab und werd' erwachsen", möchte man ihm zurufen).
Interessant wäre jetzt tatsächlich gewesen, zu sehen, wie die drei unterschiedlichen Jungs in ihrer Pubertät und danach auf das Elternhaus reagieren und was aus ihnen wird. Wir werden es nie erfahren, denn Malick erzählt es uns nicht, auch nicht, welche Umstände zum Tod des einen Jungen geführt haben. Statt dessen löst sich der Film in den letzten zehn Minuten in mystischen Bildern auf, die uns anscheinend sagen wollen, dass ein Leben nur lebenswert ist, wenn man geliebt hat. Woaww! Diese tiefschürfende und originelle (!) Erkenntnis versetzt einem den Todesstoß. Was für ein Machwerk!
Es geht auch anders
Louis Malle hat 1987 ziemlich spät in seiner Karriere ebenfalls ein traumatisches Kindheitsereignis in einem Film aufgearbeitet, aber er hat dies sehr nüchtern und ohne Einbindung in weltbewegende Fragen getan. Herausgekommen ist ein beeindruckender und sehenswerter Film: "Au revoir, les enfants". Selbst Michael Haneke, der sich in der Goldenen Palme von 2009, "Das weiße Band", auch mit den Themen Kindheit und Gewalt auseinandersetzte und der dem Zuschauer auch nicht alle Antworten auf seine Fragen gab, hat sich für eine bestimmte Erzählweise entschieden und sich konsequent dran gehalten. Das Ergebnis war vielleicht verstörend, aber in sich schlüssig.
Aber "The Tree of Life" ist einfach zu viel auf einmal und zeugt von einem flagranten Mangel an Demut und Bescheidenheit, die der Geschichte viel besser zu Gesicht gestanden hätten. Das Lustigste ist ja, dass die Jury in Cannes, frei nach "Des Kaisers neue Kleider", voll drauf reingefallen ist. Wenn etwas so außergewöhnlich daneben ist, dann muss es sich wohl um Kunst handeln.
Falls Sie sich den Film anschauen, wäre ich gespannt, zu erfahren, wie Sie ihn finden. Die Diskussion in unserem Kommentarforum ist eröffnet.
Übrigens: Brad Pitt ist nichts vorzuwerfen. Er spielt den strengen Vater, der manchmal von unvorhergesehen Zärtlichkeitsanwandlungen heimgesucht wird, durchaus überzeugend. Fans von Sean Penn brauchen allerdings nicht in den Film zu gehen. Er ist nur wenige Minuten zu sehen und hat schauspielerisch nichts zu tun.
Frank Vandenrath - Bild: Ian Langsdon (epa)