Cannes wird in den kommenden Tagen wieder zum Epizentrum der Filmbranche. 40.000 Besucher aus 160 Ländern erwarten die Veranstalter. Mehr als 4.000 Journalisten aus aller Welt decken das Ereignis ab.
Man sagt, was in Cannes passiert sind die Olympischen Spiele der Filmbranche! Entsprechend laufen endlos Stars über den Roten Teppich: Tom Hanks, Jodie Foster, Tom Cruise, Scarlett Johansson, Jennifer Lawrence, Joachim Phoenix, Robert de Niro und viele mehr.
De Niro wird zum Auftakt des Festivals mit der Ehrenpalme für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Die Vorsitzende der Jury ist, wie schon letztes Jahr, der französische Filmstar Juliette Binoche - übrigens eine der wenigen französischen Schauspielerinnen, die schon einen Oscar in der Vitrine haben (als beste Nebendarstellerin in "Der englische Patient", 1997). Das Festival besteht seit 78 Jahren - auch das spricht für seine Bedeutung.
Belgien stark vertreten
Die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne sind zum neunten Mal in Cannes nominiert, diesmal mit dem Film "Jeunes mères" ("Junge Mütter") - wieder ein für die Regisseure typisches Sozialdrama. Schauplatz ist wieder die Wallonie. Der Film erzählt die Geschichten von fünf jungen Müttern, die in Mutter-Kind-Einrichtungen wohnen. "Jeunes Mères" feiert am 23. Mai an der Croisette Weltpremiere.
Zweimal schon haben die Brüder Dardenne die Goldene Palme gewonnen: 1999 mit dem Film "Rosetta" und 2005 mit "L'Enfant". Sollten sie den Preis ein drittes Mal gewinnen, würden sie Filmgeschichte schreiben: Keinem Regisseur ist das bisher gelungen.
Die Brüsseler Regisseurin Laura Wandel geht mit "L'intérêt d'Adam" ins Rennen. Es ist ihr zweiter Spielfilm und er erzählt die Geschichte von Adam, einem vierjährigen, unterernährten Jungen, der auf Anordnung des Gerichts ins Krankenhaus eingeliefert wird. Der Film läuft in dem Nebenwettbewerb "Semaine de la Critique", einem Wettbewerb für junge Filmemacher, die sich mit einem kritischen Thema auseinandersetzen.
Da präsentiert sich eine weitere Brüsseler Regisseurin: Alexe Poukine mit ihrem Film "Kika". Er handelt von einer schwangeren Frau, die unerwartete ihren Partner verliert. Schließlich gibt es in Cannes noch einen unabhängigen Wettbewerb, "Quinzaine des Cinéastes", der mutige und innovative Filme zeigt, Produktionen, denen das große Geld fehlt, die aber förderungswürdig sind. In diesem Wettbewerb tritt der junge belgische Regisseur Valéry Carnoy an mit seinem ersten Spielfilm "La danse des renards" ("Der Tanz der Füchse"), der in der Welt des Boxsports spielt.
"Cannes-Effekt"
Mit dem "Cannes-Effekt" ist gemeint, dass ein Film sowohl triumphieren als auch sterben kann in Cannes - was sich auf den Erfolg überhaupt auswirkt. 1988 zum Beispiel feierte der Film "Le grand Bleu" ("Im Rausch der Tiefe") in Cannes Premiere. Ein gewisser Luc Besson, als 28-jähriger Regisseur noch ein unbeschriebenes Blatt, wurde damals für sein Drama ausgebuht, die Branchenvertreter im Saal pfiffen, die Kritiken waren vernichtend. Die Zuschauer aber machten das Unterwasserdrama später zum Kultfilm.
Anderes Beispiel für den Cannes-Effekt: Sharon Stone. Als sie 1992 die Stufen zum Festival- und Kongresspalast in Cannes hinaufging, war sie der Kinowelt völlig unbekannt. Nach der Premiere von "Basic Instinct" war sie ein Star.
Neuer Dresscode
Die 78. Filmfestspiele von Cannes werden am Dienstagabend um 19:15 Uhr eröffnet und dauern bis zum 25. Mai. 22 Produktionen konkurrieren um die Goldene Palme. Neben "Jeunes Mères" der Brüder Dardenne sind das Werke wie "Die, My Love" von Lynne Ramsay mit Jennifer Lawrence und Robert Pattinson oder "Eddington" von Ari Aster mit Emma Stone, Austin Butler und Joaquin Phoenix.
Die Veranstalter haben in diesem Jahr einen Dresscode ausgegeben. Aus Gründen des Anstands ist Nacktheit auf dem roten Teppich wie auch in allen anderen Bereichen des Festivals verboten. Voluminöse Kleidungsstücke, insbesondere solche mit großer Schleppe, die den reibungslosen Verkehr der Gäste behindern und die Sitzordnung im Theater erschweren, sind nicht gestattet.
Judith Peters