In den letzten zehn Jahren ist es fünfmal passiert, dass der Film mit den meisten Nominierungen nicht gewonnen hat. Das ist allerdings eine neue Entwicklung, in den Jahrzehnten davor war der Film mit den meisten Nominierungen in der Regel unschlagbar.
2009: "Slumdog Millionaire" schlägt "Benjamin Button"
2007: "The Departed" schlägt "Babel"
2006: "Crash" schlägt "Brokeback Mountain"
2005: "Million Dollar Baby" schlägt "The Aviator"
2002: "A Beautiful Mind" schlägt "The Lord of the Rings 1"
In diesem Kontext muss "The Social Network" also nicht verzagen, wenn der Film "The King's Speech" morgen mehr Nominierungen erhält.
Wer nominiert wen und wie läuft das ab?
An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, wie der Nominerungsprozess abläuft:
- Jeder Filmschaffende, der Mitglied der "Academy of Motion Picture Arts and Sciences", kurz AMPAS genannt, ist, schreibt die Namen von fünf Kollegen auf, die dem Berufszweig angehören, in dem er arbeitet - und zwar in der Lieblingsreihenfolge (Er kann natürlich auch sich selbst nominieren). So stimmen die Schauspieler für die Schauspieler, die Kameraleute für die Kameraleute, die Kostümbildner für die Kostümbildner und so weiter.
- Zusätzlich darf jedes AMPAS-Mitglied noch in der Kategorie "Bester Film" seine Stimme abgeben.
- Zunächst werden die ersten Plätze gewertet: Erhält ein, sagen wir mal, Kameramann dabei mehr als 20 % der Stimmen, ist er automatisch nominiert. Die anderen, die keine 20 % der Erststimmen erhalten haben, kommen in eine Warteschleife. Der letztplatzierte in dieser Warteschleife fliegt aus dem Rennen und die Stimmzettel, auf denen eine Erststimme für ihn abgegeben worden war, werden jetzt neu gewertet mit Hilfe der Zweitstimme. Das Spielchen wird so lange wiederholt, bis nur noch fünf Kameramänner übrig sind und das sind dann die glücklichen Oscar-Nominierten. Das System hat den Vorteil, dass, wenn die erste Stimme eines Wählers zu keiner Nominierung geführt hat, er immer noch mit einer seiner folgenden Stimmen den Zirkus mit beeinflussen kann. Der Konsens fußt dann auf einer breiteren Basis, lässt aber auch kaum extreme Überraschungen zu. Daher sind Oscar-Nominierungen in der Regel gut vorhersehbar.
Bei der zweiten Wahl, die entscheidet, welcher der Nominierten den Oscar erhält, darf jedes AMPAS-Mitglied in allen Kategorien seine Stimme abgeben, und zwar jeweils nur eine einzige. Der Kandidat mit den meisten Stimmen ist dann Sieger.
Plötzlich wieder zehn beste Filme
Achtung: 2010 sind nach langer Zeit wieder zehn nominierte Filme in der Kategorie "Bester Film" eingeführt worden. Das hatte es das letzte Mal 1944 gegeben, als "Casablanca" gewonnen hatte. Nach ihrer Entscheidung fiel den Verantwortlichen plötzlich auf, dass theoretisch 10,01 % der Stimmen genügen würden, um den besten Film des Jahres zu küren. Um das zu verhindern, wendet man jetzt bei der Wahl des besten Films, aber nur da, das selbe System wie bei den Nominierungen an: Die Juroren müssen also die Filme in ihrer Lieblingsreihenfolge aufschreiben. Und ihre Zweit- oder Drittstimme kann plötzlich eine Rolle spielen.
Warum ich das alles erzähle? Nun, zum einen dürfte es den einen oder anderen interessieren, zu erfahren, wie die Wahlen ablaufen (Die Academy hat lange versucht, ihren Wahlmodus geheim zu halten), zum anderen kann das Ergebnis einer Wahl ganz anders aussehen, jenachdem ob man eine einfache Mehrheit zulässt oder ein Präferenzwahlverfahren organisiert.
Beispiel: Letztes Jahr lagen "Avatar" und "The Hurt Locker" mit je neun Nominierungen an der Spitze. "Avatar" hatte viele leidenschaftliche Fans, aber auch viele strikte Ablehner, während "The Hurt Locker" nicht so polarisierte. Die Fans von "Avatar" haben ihn auf Platz Eins gesetzt, die Gegner auf Platz Zehn. Wogegen die, für die "The Hurt Locker" nicht unbedingt die Nummer Eins war, ihn aber durchaus auf einem der folgenden Plätze angesiedelt haben. So kam es, dass "The Hurt Locker" bester Film wurde und den erfolgreichsten Film aller Zeiten aus dem Boot kippte. Wäre das auch bei einer Wahl mit einfacher Mehrheit passiert?
"The King's Speech" vs. "The Social Network"
Einige Oscarologen prophezeien, dass "The King's Speech", den viele mögen, aber kaum jemand ablehnt, bessere Chancen bei der Endabstimmung haben könnte als "The Social Network", den viele mögen, der aber vielen anderen überhaupt nichts sagt (älteren Menschen, für die "Facebook" ein Teufelswort ist, Freunden von Happy-Ends, epischen Geschichten mit britischen Königen, ...).
Könnte die Tatsache, dass "The Social Network" als der Film einer Generation wahrgenommen wird, sich am Ende gegen ihn kehren? Zuviele zehnte Plätze könnten ihm den Garaus bereiten.
Aber so weit sind wir noch nicht. Erst warten wir einmal die Nominierungen ab. Und dann wollen wir dringendst "The King's Speech" sehen, damit wir endlich mitreden können. Aber dieser Film läuft erst am 17. Februar in Deutschland und am 23. Februar in Belgien an!!
Frank Vandenrath - Bild: epa