Wie viele andere kannte ich den Film "Jud Süß" nur vom Hörensagen. Ich wusste, dass es sich um einen Film handelte, den die Nazis in Auftrag gegeben hatten, um den Judenhass in der deutschen Bevölkerung zu schüren und ihnen das Eliminieren dieser Mitbürger leichter zu machen.
Jetzt erzählt ein neuer deutscher Film von den Umständen der Entstehung dieses Films und von seinen Auswirkungen auf die Beteiligten und die Zuschauer. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der nicht-jüdische Schauspieler Ferdinand Marian, der von Propaganda-Minister Joseph Goebbels genötigt wird, die Rolle eines jüdischen Finanzbeamten am Hofe von Württemberg im 18. Jahrhundert zu spielen, der in die Machtkämpfe seiner Zeit verwickelt wird und am Ende wegen des Geschlechtsverkehrs mit einer Christin gehängt wird.
Marian spielte 1937 mit Zarah Leander in "La Habanera", war aber ansonsten eher ein Bonvivant als ein angesehener Schauspieler. Goebbels versprach ihm einen großen Karrieresprung, doch die Rolle des "Jud Süß" erwies sich als vergiftetes Geschenk.
Tobias Moretti, bekannt aus "Kommissar Rex", spielt Ferdinand Marian, Martina Gedeck seine Frau und Moritz Bleibtreu ist in der Rolle des Ministers zu sehen, den er, auch wenn er ihm nicht ähnlich sieht, mit Hilfe eines ungewöhnlichen rheinischen Akzents und einer beeindruckenden Mimik in all seiner furchterregenden Diabolik wiederauferstehen lässt. Bleibtreu schreckt vor nichts zurück und gerade das macht ihn so sehenswert.
Der Film lässt eine gewisse Schwarz-Weiß-Malerei zu und vermeidet nicht immer die Klischees, aber vielleicht waren die Verhältnisse damals ja auch so, dass es keine Möglichkeit für Nuancen und eine differenzierte Sichtweise gab. In einer Diktatur ist man, wenn man denn das Pech hat, von ihr wahrgenommen zu werden, entweder dafür oder dagegen. Den Luxus eines subtilen "Ja, aber ..." kann man sich nur in einer Demokratie leisten.
Was nicht heißt, dass Demokratien nicht ihre Propaganda-Filme haben. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs drehte Hollywood auf Druck aus Washington eine Reihe von Filmen, die der Kriegsmüdigkeit der US-Bevölkerung entgegen wirken sollten und ein leicht identifizierbares Feindbild vermittelten: den "bösen Deutschen", den die Jungs in Europa ohne Reue töten durften. Goebbels selbst lobte z.B. "Mrs. Miniver" als ein perfekt gelungenes Propaganda-Stück. Der Streifen wurde bei den Oscars 1943 bester Film des Jahres und erhielt noch fünf weitere Oscars. Ein anderes Beispiel ist "Die Wacht am Rhein", an dessen Ende ein Exildeutscher auf amerikanischem Boden einen Nazi mit größter Zustimmung des Drehbuchs umbringen darf. Paul Lukas in der Rolle des "edlen Mörders" erhielt 1944 den Oscar für die beste männliche Hauptrolle.
Und wenn man sich anschaut, wie Hollywood jahrzehntelang Indianer ("blutrünstige rote Bestien"), Schwarze ("Dienstpersonal" oder "Dämel vom Dienst") oder Homosexuelle ("psychopathische Mörder" oder "AIDS-Opfer, die selbst schuld sind") dargestellt hat, sollte man vorsichtig sein, den Film "Jud Süß" als exemplarischen Ausrutscher zu brandmarken. Jeder Film spiegelt immer auch die gesellschaftliche Meinung der herrschenden Klasse wider, und wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten, wäre "Jud Süß" heute ein Meilenstein der Filmgeschichte ... und ich hätte niemals schreiben dürfen, was ich gerade geschrieben habe.
Sie merken es, der Film "Jud Süß - Film ohne Gewissen" löst eine Reihe von Fragen aus. Und das ist gut so!
Frank Vandenrath - Bild: epa