Lara will Ballerina werden. Aber sie wurde als Junge geboren. Das macht ihren Lebenswunsch doppelt schwer. Sie kämpft mit ihrem Körper, kämpft, damit jede Tanzbewegung schwerelos wirkt, kämpft aber auch um einen neuen Ausdruck, denn sie steht kurz vor einer Hormonbehandlung, um ihr Geschlecht zu verändern.
Die Geschichte von Lara ist keine neue Geschichte. Filme über eine Geschlechtsänderung gibt es schon, aber bisher wurde diese Geschichte noch nie so gut erzählt.
Nach einer fast schon rockstarartigen Tournee über die Filmfestivals diesen Sommer ist der Genter Regisseur Lukas Dhont auf einen Schlag in die Riege der viel beklatschten belgischen Filmemacher aufgestiegen. Sein empathischer, frischer Blick auf eine Geschlechtsänderung öffnet das Thema auch für Menschen, die eigentlich nichts damit zu tun haben wollen. Die kleinste Szene ist wichtig. In einer Szene sieht man Lara, wie sie sich selbst Ohrlöcher sticht - ohne mit der Wimper zu zucken. Eine Metapher für ihre außergewöhnliche Schmerzgrenze und ihre Fähigkeit, für das, was sie will, zu kämpfen.
Der Erfolg des Films beruht aber auch auf der außergewöhnlichen Leistung von Hauptdarsteller Victor Polster. Der Nachwuchstänzer war beim Casting gerade mal 14 Jahre alt und ist selbst nicht Trans. Die Rolle von Lara spielt er trotzdem extrem überzeugend. "Ich wusste sofort, dass er die Rolle spielen sollte", erzählt Lukas Dhont im RTBF-Interview. "Er war einer von rund 500 Kandidaten beim Casting für den Film und ein echter Glücksgriff."
Die Geschichte von "Girl" basiert auf einer wahren Begebenheit. In einem Zeitungsartikel entdeckte Dhont vor rund zehn Jahren die Geschichte von Nora, einer jungen Frau, die nicht bei einer Tanzschule aufgenommen wurde, weil sie als Junge geboren wurde. "Diese Geschichte hat mich sofort berührt. Für mich ist sie eine Person, die über ihr Leben entscheidet, ohne auf die Reaktion von anderen zu achten. Sie war talentiert, ambitioniert und mutig. Das hat mir in dem Alter gefehlt. Und genau das macht den Film besonders. Hier geht es nicht um die Reaktion des Umfelds auf eine Geschlechtsumwandlung, um Vorurteile oder Abwertung - im Gegenteil. Das Umfeld von Lara unterstützt sie. Ihr Vater hat viel Verständnis und auch ihre Freunde akzeptieren sie so, wie sie ist."
Lara kämpft nicht gegen die Außenwelt, sondern für sich selbst. Damit ist ihre Geschichte auch allgemeingültig. Sie betrifft jeden jungen Menschen, der nach seinem erwachsenen Selbst sucht.
Ab Mittwoch läuft "Girl" in den belgischen Kinos. Zu sehen ist er beispielsweise in Stavelot oder in Lüttich. Ab Donnerstag ist dann auch der offizielle Kinostart auf Deutsch. Dann kann man "Girl" zum Beispiel auch im Apollo in Aachen sehen.
Anne Kelleter