Dorothy Baker (1907-1968) war mit ihrer Karriere als Autorin äußerst unzufrieden. Gemessen an ihren eigenen Ansprüchen empfand sie sich als gescheitert, denn sie hatte es nicht in die Riege amerikanischer Topautoren geschafft. Dabei war sie eigentlich ganz hoffnungsvoll gestartet. Bakers erster, 1938 erschienener Roman "Young Man with a Horn" war auf positive Resonanz gestoßen. Er wurde später sogar mit den Hollywoodschauspielern Kirk Douglas und Lauren Bacall verfilmt ("Der Mann ihrer Träume").
Doch ihre nächsten beiden Bücher waren Flops, eines davon, weil es mit dem Thema Homosexualität für seine Zeit ein zu heißes Eisen anpackte. Wahrscheinlich waren Bakers Bücher am damaligen Mainstream vorbei geschrieben, ihre Protagonisten zu sehr Außenseiter. Das gilt auch für ihren letzten Roman "Cassandra at the Wedding", der jetzt nach 50 Jahren wieder auf Deutsch erschienen ist.
Überraschenderweise wirkt "Zwei Schwestern", so die deutsche Übersetzung, für heutige Leser kein bisschen angestaubt. Denn hier geht es um Rebellion, alternative Lebensentwürfe und Widerstand gegen gesellschaftliche Konventionen.
Unterschiedliche Temperamente
Im Mittelpunkt stehen Zwillingsschwestern - Cassandra und Judith, die behütet und von der Außenwelt aufgewachsen sind. Obwohl die beiden sich schon als kleine Mädchen Mühe gaben, zumindest äußerlich nicht den gängigen Zwillingsklischees zu entsprechen, fühlten sie doch immer "dieses uralte Einssein"- so glaubt es jedenfalls Cassandra. Dann aber geht Judith nach New York, die Schwester bleibt in Kalifornien zurück.
Seither ist Cassandras Leben aus dem Gleichgewicht. Ihre Arbeit an der Universität schiebt sie lustlos vor sich hin, sie leidet unter Ess- und Schlafstörungen und konsultiert einen Psychiater. Mit der Nachricht von Judiths bevorstehender Heirat spitzt sich die Krise zu. Der Roman setzt in dem Moment ein, da Cassandra sich auf den Weg zu Judiths Hochzeitsfeier im Elternhaus der Zwillinge macht.
Nach längerer Trennung kommt es hier zur Wiederbegegnung der Schwestern, die gar nicht so symbiotisch sind, wie Cassandra glaubt. Denn die beiden jungen Frauen haben durchaus unterschiedliche Temperamente und Lebensweisen. Cassandra, die elf Minuten ältere, ist widerborstig und unangepasst, aber auch egoistisch und selbstsüchtig, sie möchte die Schwester ganz für sich. Judith, die sanftere, weniger eigenwillige, hat dagegen keine Probleme mit den bürgerlichen Normen.
Nach einer dramatischen nächtlichen Auseinandersetzung kommt es zu einem folgenschweren Missverständnis. Cassandra meint, Judith von den verhassten Heiratsplänen endgültig abgebracht zu haben und sieht die schwesterliche Einheit wiederhergestellt. Doch das erweist sich als Trugschluss. Judith zieht den Termin der Hochzeit mit dem geliebten Mann sogar vor. Cassandra sieht nur noch einen Ausweg.
Mitreißende Erzählweise
Der Roman ist komplett aus Sicht der Schwestern geschildert, am Anfang und am Ende aus der Cassandras und in der Mitte aus Judiths Perspektive. Diese radikal subjektive Erzählweise wirkt ganz unmittelbar und zieht den Leser vollkommen in die Gedankenwelt der Schwestern hinein.
Baker ist eine elegante Erzählerin, die auch düstere Szenarien mit Humor zu würzen weiß, etwa die jugendlichen Neckereien der Schwestern, witzige und schlagfertige Dialoge, die nichts von ihrem Charme verloren haben. Schade, dass der Roman im ersten Teil nicht straffer gehalten ist und durch seine zu langatmige Erzählweise hier an Wirkung einbüßt. Ansonsten aber ist "Zwei Schwestern" eine vielversprechende Wiederentdeckung.
Dorothy Baker: Zwei Schwestern
Deutscher Taschenbuch-Verlag, München
368 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-423-28059-4
Von Sibylle Peine, dpa - Cover: DTV