Ihre Werke stützen sich auf gesammelte Stimmen von Zeitzeugen: Die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch bekommt den diesjährigen Literaturnobelpreis. Die Autorin arbeitet Alltag und Gewalt der Sowjetzeit auf. Heute opponiert die 67-Jährige gegen Weißrusslands autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko und Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Alexijewitsch bekommt den Preis "für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt", wie die Schwedische Akademie mitteilte.
Sie ist die erste Journalistin und die 14. Frau in der Geschichte der wichtigsten Literaturauszeichnung der Welt. Nobel-Jurorin Sara Danius in Stockholm nannte Alexijewitsch "eine außergewöhnliche Schriftstellerin". Sie beschreibe "eine Geschichte der Gefühle". Danius hatte die Gewinnerin telefonisch benachrichtigt.
"Das ist ganz groß, diesen Preis zu bekommen", sagte die neue Literaturnobelpreisträgerin am Telefon dem schwedischen Sender SVT. Es sei eine Ehre, in einer Reihe mit Schriftstellern wie Boris Pasternak zu stehen. "Die weißrussischen Behörden tun so, als ob es mich nicht gäbe", sagte sie später vor Journalisten in Minsk. "Ich werde nicht gedruckt, ich darf nirgendwo auftreten."
Die Schriftstellerin ist erst die sechste russischer Sprache, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wird. Er ist mit etwa 850.000 Euro (acht Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Mit dem Preisgeld will die Geehrte das Schreiben ihrer nächsten Bücher finanzieren. Sie schreibe fünf bis zehn Jahre an einem Buch, sagte sie am Donnerstag.
Verliehen wird der Preis am 10. Dezember, dem Todestag von Stifter Alfred Nobel. Seit mehreren Jahren gehörte Alexijewitsch zu den Nobelpreis-Favoriten, auch 2015 stand sie bei Wettbüros ganz oben.
Im vergangenen Jahr hatte der Franzose Patrick Modiano gewonnen, davor das Jahr die Kanadierin Alice Munro. Letzte deutschsprachige Preisträger waren Herta Müller (2009) und Elfriede Jelinek (2004).
Alexijewitschs Würdigung stieß am Donnerstag auf viel Zustimmung und gilt als politisches Signal. Der weißrussische Oppositionspolitiker Andrej Sannikow begrüßte die Ehrung als "fantastische Nachricht".
Michael Krüger, früherer Chef des Hanser-Verlages, hob ihre Rolle in der Opposition hervor. "Sie wird eine große Ikone der Widerstandsbewegung werden." Weißrusslands Präsident Lukaschenko will sich am Sonntag für eine fünfte Amtszeit wiederwählen lassen.
Alexijewitsch wurde 1948 im westukrainischen Stanislaw geboren (heute Iwano-Frankiwsk). Nachdem sie Journalistik studiert hatte, arbeitete sie zunächst als Lehrerin und bei einer Lokalzeitung. Sie lebte einige Jahre im Exil, unter anderem in Paris und Berlin. 2011 zog sie trotz ihrer oppositionellen Haltung zurück nach Minsk.
Auch russische Schriftsteller freuten sich über den Preis für Alexijewitsch: Der Moskauer Autor Viktor Jerofejew sagte, die Autorin nehme es stellvertretend auf sich, über dunkle Themen wie die sowjetischen Straflager, Tschernobyl oder Afghanistan zu schreiben.
An diesem Freitag wird der Friedensnobelpreisträger 2015 verkündet.
dpa/okr - Bild: Jonathan Nackstrand (afp)