Grimmiger Blick, resoluter Schritt, beherztes Eingreifen: So haben die meisten Agatha-Christie-Fans Miss Marple vor Augen - selbst wenn sie wissen, dass ihre Verkörperung durch Margaret Rutherford der literarischen Gestalt ihrer geistigen Schöpferin so gar nicht entsprach. Sei's drum.
Miss Marple ist auch nach Jahrzehnten gemeinhin das, was Liebhaber mit der klassischen englischen Kriminalliteratur verbinden. Und mit der dörflichen Idylle, alten Cottages, gemütlichen Tearooms und verräucherten Pubs.
Doch es ist nicht nur das Revier der Agatha Christie (1890-1976). Viele britische Autorinnen haben es für sich erobert, was nun in einem launigen Wegweiser durch das englische Landleben der Crime-Ladies beschrieben wird. Allerdings - ganz neu ist er nicht, denn das Buch von Luise Berg-Ehlers "Mit Miss Marples aufs Land. Englische Kriminalschriftstellerinnen zwischen Tearoom und Tatort" wurde bereits vor zwei Jahren geschrieben. Doch nun liegt in einer ersten Auflage ein komprimierter Band des Insel Verlags vor, der - wunderschön bebildert - jeden Freund des Milieus begeistern wird.
Und das befindet sich vorwiegend im ländlichen Teil Südenglands. Womit bereits feststeht, dass Christies zweite berühmte Ermittlerfigur, der ebenso eitle wie geniale Hercule Poirot, hier nichts zu suchen hat, denn er ist ein Großstadtdetektiv mit dem Hang zum Reisen, zu Luxus und Bequemlichkeit. Nicht so Miss Marple, die - egal ob von der schlanken und eher zurückhaltenden Joan Hickson oder vom "detektivischen Schlachtross" Margaret Rutherford dargestellt - eher die ländliche Einfachheit und Ruhe in stiller Bescheidenheit genießt. Was sie jedoch nicht davon abhält, im Freien eher die schrägen Vögel in der Nachbarschaft ins Auge zu fassen als die lieblich zwitschernden Geschöpfe im Geäst.
Jane Marple wird im gesamten Bändchen präsent sein, wenn Berg-Ehlers von St. Mary Mead (Christie) nach Fenchurch St. Peter (Dorothy L. Sayers - 1893-1957), Blythburgh (P.D. James - 1920-2014) oder Kingsmarkham (Ruth Rendell - 1930-2. Mai 2015) reist und dort auf den Spuren legendärer Ermittler wie Lord Peter Wimsey, Adam Dalgliesh oder Reginald Wexford wandelt.
Im Mittelpunkt der Reise, die selbstredend in Tearooms, Cottages, Pubs, farbenfrohe Gärten, aber auch Kirchen und über Friedhöfe führt, stehen die "Queens of Crime" Christie, Sayers, Margery Allingham (1904-1966) und die Neuseeländerin Ngaio Marsh (1895-1982), später auch Rendell.
Aber auch viele nicht weniger erfolgreiche Autorinnen wie Minette Walters (geb. 1949) oder die Schöpferin des bekannten Inspectors Tom Barnaby, Caroline Graham (geb. 1931) werden in ihrem tatsächlichen und fiktiven Arbeitsumfeld beleuchtet. Nicht zuletzt findet auch die Amerikanerin Elizabeth George (geb. 1949) Eingang ins Marple Country gerade wegen ihrer Vorliebe für selbiges. Zudem sind ihre Ermittler Thomas Lynley und Barbara Havers mittlerweile weltweit Kultfiguren geworden.
Berg-Ehlers, die unter anderem Theaterwissenschaften und Publizistik studierte und als exzellente Kennerin der englischen Literatur gilt, hat ihr Wissen mit viel Charme und Humor in dieses Büchlein gepackt. Ihre Entdeckungstour durch die englische Kriminalliteratur und das Betätigungsfeld ihrer Autorinnen, deren Lebensumstände und die Preisgabe auch mancher pikanter Details machen die Lektüre nicht nur lesenswert, sondern auch zum Anreiz, sich wieder einmal einem Klassiker dieses Genres zu widmen.
Denn seien wir mal ehrlich: Trotz böser Buben und Taten haben diese Bücher etwas Gruselig- Beschauliches, das sich wohltuend abhebt von blutiger Action und Hightech-Verbrechen und das sich besonders wirkungsvoll mit einer guten Tasse Tee oder einem kühlen Ale genießen lässt.
Luise Berg-Ehlers: Mit Miss Marple aufs Land. Englische Kriminalschriftstellerinnen zwischen Tearoom und Tatort
Insel Verlag Berlin, 143 Seiten, 12,95 Euro, ISBN 978-3-4583-6067-460674
Von Frauke Kaberka, dpa