Die meisten Schweden gehen mit 65 Jahren in den Ruhestand. Dieser Zeitpunkt wäre auch für den Lehrer Håkan Nesser bald gekommen. Hätte er sich nicht mit 48 Jahren entschieden, das Unterrichten dranzugeben und stattdessen Bücher zu schreiben.
Die düsteren Verbrechen im erdachten Universum des Inspektors Van Veeteren machten Nesser weltberühmt und Millionen Leser süchtig nach Schweden-Krimis. Mehr als zwei Dutzend Romane hat der preisgekrönte Autor seitdem geschrieben. Kaum hat er einen beendet, sitzt er schon am nächsten.
Daran ändert sich auch nichts, wenn Nesser am Samstag (21. Februar) das Rentenalter erreicht. "Für viele Leute ist das ein Grund zu feiern", sagt er. "Ich sehe keine Veränderung. Ich schreibe einfach weiter." Bücher seien für ihn wie eine Sucht. "Ich lese ein Buch, ich schreibe ein Buch, das ist meine Droge."
Zu Hause auf der Insel Gotland sitzt Nesser in den Tagen vor seinem 65. Geburtstag auf dem Sofa und sieht die Änderungen an seinem neuen Roman durch. Er spielt in Berlin, und der Schriftsteller hat mehrere Monate in der Hauptstadt verbracht, um für die Geschichte zu recherchieren. Sie ist Teil einer Trilogie, deren Handlung jeweils in einer anderen Metropole der Welt vor sich geht.
"Die Idee, die meine Frau und ich hatten, war: Lass uns ein paar Jahre in New York und ein paar Jahre in London und ein paar Jahre in Berlin wohnen." Aus London hat Nesser einen leichten britischen Akzent mitgebracht, aber danach hatte er keine Lust mehr, in noch ein anderes Land zu ziehen.
Auf Schwedens größter Ostseeinsel lebt der Krimi-Autor mit seiner zweiten Frau Elke und zwei Island-Pferden inmitten idyllischer Natur. Bis vor kurzem gehörte auch ein Hund, der Rhodesian Ridgeback Norton, zur Familie, Nessers ständiger Begleiter. "Wir mussten ihn vor drei Monaten einschläfern", sagt der Schwede. "Er war eine wundervolle Kreatur, und wir trauern immer noch ein bisschen um ihn."
Die Pferde hat seine Frau im vergangenen Jahr von einem Island-Besuch mitgebracht. Auch an seinem Geburtstag verreisen die beiden - wohin, sei aber eine Überraschung, meint Nesser. "Ich überlasse das ihr." Die Freiheit, sich seine Zeit einteilen zu können, liebt Nesser an seinem Beruf. "Ich kann meine Bücher überall schreiben und habe Freizeit", sagt er der Deutschen Presse-Agentur. "Als Lehrer muss man immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, man lebt mit der Uhr."
Allerdings ist da noch das Einsame am Schriftsteller-Dasein. Früher müsse das schlimmer gewesen sein. Heute reist jemand wie Nesser viel - zu Lesungen, Interviews. "Man ist in den Zeitungen und steht für einige Tage oder Wochen im Mittelpunkt", sagt er, "und dann sind da 51 Wochen, in denen man in seinem Zimmer sitzen und schreiben soll."
Während er die vielen grausigen Geschichten auf Papier gebannt hat, hat sich der Autor selbst eine schelmische Leichtigkeit bewahrt. Die hat er vielleicht mit seinem späteren Inspektor Gunnar Barbarotti gemein. Jedenfalls steht dieser Nesser näher als der mürrische Van Veeteren. Der Kommissar, der für zehn Bände im fiktiven Maardam ermittelte, sei für ihn bis zuletzt ein Rätsel geblieben, sagte er einmal dem Schweizer "Tages-Anzeiger". Damit der Ermittler den Fans nicht ganz fehlte, wurden seine Fälle verfilmt und Hörbücher produziert.
Aber auch von Barbarotti, den Nesser seinen Lesern in "Mensch ohne Hund" (2006) vorstellte, verabschiedete sich der Schwede nach fünf Fällen - um sich selbst bei Laune zu halten, meint er: "Man braucht die Abwechslung. Es macht keinen Spaß, dieselben Bücher wieder und wieder zu lesen oder zu schreiben."
Von Julia Wäschenbach, dpa - Bild: Arno Burgi/AFP