"Meine Mutter war sehr hässlich. Alles andere hätte mein Großvater ihr nie erlaubt. 'Doofsein kannst du dir mit dem Gesicht wenigstens nicht erlauben', sagte er, und wie mit allem im Leben hatte er natürlich auch damit recht.
Also machte meine Mutter das, was sie am besten konnte: alle stolz. Mein armer Großvater konnte sich kaum entscheiden, welche ihrer tollen Begabungen das gesamte Gewicht seiner übersteigerten Erwartungen am meisten verdiente. Das Einzige, wozu meiner Mutter leider völlig das Talent fehlte, war die Liebe."
"Mehr Wunder als Kind", so hatte es sich der Großvater für die Mutter ausgedacht. Gefühle gewöhnt er ihr dabei vorsorglich ab. Dass die Mutter der Erzählerin ein Wunderkind ist, das steht schon vor ihrer Geburt fest – mehr Wunder als Kind, denn von der Kindheit hält der Großvater fast noch weniger als von der Schönheit. Hochintelligent, hochbegabt und nur ganz heimlich hochgradig einsam, ist die Mutter auf dem besten Weg, genau das Leben zu führen, das er sich für sie ausgedacht hatte. Doch unberechenbar schlägt die Liebe mit einer solchen Wucht zu, dass die Mutter ein halbes Leben braucht, um sich davon zu erholen.
Erst als ihre Mutter mit gerade einmal fünfzig Jahren krebskrank im Sterben liegt, beschließt sie, mit der Geheimnistuerei Schluss zu machen und ihrer Tochter aus ihrem Leben zu erzählen. Wie die junge Autorin Sarah Stricker dies in ihrem Debütroman schildert, wurde von den Literaturkritikern hoch gelobt. Nie war Hässlichkeit schöner, Liebe nie gemeiner und Sprache selten solch ein Fest.
Am Dienstag, dem 26. November, um 20 Uhr, wird Sarah Stricker im Triangel St. Vith aus ihrem preisgekrönten Buch "Fünf Kopeken" im Rahmen des Literatur-Festivals Lit.Eifel vortragen. Karten für die Lesung gibt es im Vorverkauf zum Preis von zwölf Euro (ermäßigt sechs Euro) bei ArsVitha und im Triangel.
Autorin
Geboren 1980 in Speyer, besuchte Sarah Stricker die Deutsche Journalistenschule in München und schrieb nach Einsätzen bei der taz und Vanity Fair für viele deutsche Zeitungen und Magazine (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine, Neon). 2009 ging sie mit einem Stipendium nach Tel Aviv und blieb kurzerhand dort, sie berichtet für deutsche Medien über Israel und für israelische Medien über Deutschland. "Fünf Kopeken" ist ihr schriftstellerisches Debüt. Für einen Auszug daraus ist sie 2011 mit dem Martha-Saalfeld-Förderpreis ausgezeichnet worden.
mitt/km - Bild: Olivier Favre