Manche Männer könnten bei der Vorstellung ins Schwärmen geraten: die eigenen Gene europaweit in Metropolen fortgepflanzt, ohne Verantwortung übernehmen oder auch nur einen Cent Unterhalt zahlen zu müssen. In Jordi Puntis Roman "Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz" lebt ein Umzugshelfer aus Barcelona diesen vermeintlichen Traum: Er setzt auf seinen Reisen vier Söhne in vier unterschiedlichen Ländern in die Welt und gibt ihnen allen - in der jeweiligen Landessprache - den Namen Christof. Aus Einfallslosigkeit? Aus Spaß? Damit er sich die Namen der Sprösslinge leichter merken kann?
Auf diese und weitere offene Fragen nach ihrer eigenen Identität wollen Christof, Christophe, Christopher und Cristòfol Antworten finden. Zunächst wissen sie nicht von ihren Geschwistern. Bis Cristòfol in der ehemaligen Wohnung seines Vaters einen Zettel findet, auf dem die Namen seiner Halbbrüder stehen. Die mehr oder weniger erwachsen gewordenen Männer treffen sich - und beginnen mit der Suche nach Gabriel Delacruz Expósito, ihrem flüchtigen Erzeuger.
Punti erzählt die Geschichte von vier Männern, die vor gut 40 Jahren ohne Vater und Geschwister in die lebendige Welt der Metropolen London, Paris, Frankfurt und Barcelona gesetzt wurden. Wut auf ihren verschwundenen Vater spüren sie bei der Suche nicht, sagt einer der Brüder: "Fürs Erste haben wir kein Interesse, ihn zu verdammen - sondern wir wollen herausfinden, wo er ist. Wer er ist." Und ihn schließlich zur Rede stellen.
Sie wissen nicht, ob ihr Vater noch lebt. Seit dreißig Jahren hat ihn niemand zu Gesicht bekommen. Mit Hilfe der Auskünfte früherer Weggefährten - etwa Gabriels innigstem Freund Bundo, dem Chef des Umzugsunternehmens und natürlich den vier verlassenen Müttern - begeben sie sich auf die biografischen Spuren ihres Vaters. Während die Brüder mit all ihren nationalen Eigenarten zu einem witzigen Ensemble zusammenfinden, wird Papa Gabriel als zeugungsfreudiger Charmeur, rastloser Dieb und begeisterter Kartenspieler entlarvt, der in jedes Sakko eine Spielkarte eingenäht hat.
Auf seinen irren Fahrten werden so nicht die Frauen zu Gabriels Verhängnis, sondern das Glückspiel. Als er dadurch in Lebensgefahr gerät, stürzen sich seine Söhne in eine waghalsige Rettungsaktion. Sie nehmen die Befreiung so ernst wie Gabriel seine Vaterschaft - nämlich gar nicht. Auch sonst zeigen die vier Christofs die Charakterzüge ihres Erzeugers: Leichtsinn und Frohsinn, Hochmut und Lebensmut. Und sprachliche Genialität.
Diese hat ihnen Jordi Punti auf eine Weise verliehen, wie sie vielleicht besonders im Katalanischen entstehen kann. Schnell fühlt man mit der Vierfachfamilie Delacruz mit. Auch als tapferer Mann muss man die ein oder andere Träne verdrücken, als Gabriel bei einem tödlichen Unfall mit dem Pegaso-Lastwagen seinen besten Freund verliert. Punti schreibt dazu: "Nach und nach, am ganzen Körper zitternd wie der Pegaso, wenn der Motor nicht anspringen wollte, begann Gabriel zu weinen."
Jordi Punti soll in seiner katalanischen Heimat bereits einige Preise für Delacruz' Reisen eingeheimst haben. Tatsächlich muss er sich mit seinem zarten und geduldigen Erzählstil nicht hinter Leuten wie Jonas Jonasson verstecken, der mit dem "Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand" den wohl erfolgreichsten Roman der letzten fünf Jahre geschrieben hat. Ein ähnlicher Riesenerfolg erwartet den noch recht unbekannten Punti voraussichtlich nicht - er wäre ihm aber von Herzen zu wünschen.
Buchdetails
Jordi Punti
Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz
Kiepenheuer & Witsch
608 Seiten, 19,99 Euro
ISBN 978-3-462-04523-9
Von Steffen Trumpf, dpa - Cover: Kiepenheuer & Witsch