Sonntags darf der kleine Mathias am Vormittag zu Opa ins Bett. Und der krault ihm dann den Rücken und erzählt vom Ersten Weltkrieg, dass die Franzosen am Anfang noch roten Jacken anhatten und man sie abschießen konnte wie Tontauben. Pünktlich immer genau um eins ruft Oma zum Mittagessen. Dann gibt es Sauerbraten mit gefüllten Klößen und zum Nachtisch Fürst-Pückler-Eis.
Sonntags um eins ist die Welt noch in Ordnung - und an den übrigen Tagen auch gar nicht so schlecht. Heinz Strunk beschreibt sie in "Junge rettet Kind aus Teich". Doch je älter Mathias wird, umso schlimmer wird alles. Bis es sich kaum noch aushalten lässt.
Es ist ein großartiger Roman über den Verlust der Kindheit, der erzählt, dass es nicht in jedem Fall großartig ist, Teenager zu sein. Wie schon in seinem Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse" legt der Autor den Fokus auf die hässlichen Seiten, die damit verbunden sind, als Jugendlicher am Stadtrand von Hamburg aufzuwachsen. Auf Gleichaltrige, die einen schikanieren und mobben, auf Lehrer, die ihren Spaß daran haben, einem zu zeigen, dass man ein Versager ist, auf Mädchen, die mit den Mitschülern rummachen, aber für einen selbst unerreichbar sind - für Mathias ist Pubertät die Hölle.
Die Hauptfigur heißt Mathias Halfpape, so wie der Autor selbst, bevor er Heinz Strunk wurde, Hamburger Musiker, Schauspieler, Multitalent. In dem Roman lässt Strunk ihn in drei Abschnitten von sich erzählen: Der erste spielt 1966. Mathias geht noch nicht zur Schule und wohnt mit seiner Mutter bei den Großeltern. Es ist eine Welt mit engen Grenzen, aber eine heile.
Der zweite Abschnitt "1970" beginnt mit dem Wechsel aufs Gymnasium und dem Zusammenstoß mit Lehrern wie Herrn Dierks, der ihn in jeder Mathestunde leiden lässt. Opa wird spürbar älter und ist deswegen nicht mehr der Alte. Im Fernsehen läuft immer noch "Was bin ich?" und "Die Leute von der Shiloh Ranch", aber Mathias steht inzwischen auf Deep Purple und fängt heimlich an zu rauchen - die Welt seiner Kindheit verschwindet langsam.
Im dritten Abschnitt "1974" geht sie den Bach runter und damit alles kaputt, was Mathias früher wichtig war: Die alten Freunde sind nicht mehr da. Opa kommt ins Heim, Omas Schwester stirbt. Die psychische Erkrankung der Mutter wird immer dramatischer. Sie leidet unter Wahnvorstellungen, schreit ihrer einzigen Freundin hinterher, sie wolle sie nie wiedersehen. Und macht dem eigenen Sohn nur noch Angst.
Es gibt im ganzen Buch viele toll erzählte Passagen, gerade diese bitteren, traurigen sind Heinz Strunk ausgesprochen gelungen. Der Schluss des Romans ist so hoffnungslos wie dramaturgisch genial: Da scheint es seiner Mutter endlich mal etwas besserzugehen, dass sie sich so auf den Frühling freut und auf die erwachende Natur. Und weil sie ihn so fest an sich drückt und ihm so freudig eine gute Nacht wünscht, geht Mathias das erste Mal seit langem sorglos schlafen.
Der letzte Absatz des Buches ist von fast gnadenloser Poesie: "Am nächsten Morgen war Mutter verschwunden. Das Fenster stand offen, und die Luft war ganz mild. Sieh da, der Frühling hatte Einzug gehalten! Sonnenlicht fiel warm durch die Fenster." Lakonischer lässt sich kein Selbstmord beschreiben. Heinz Strunk ist da etwas Seltenes gelungen: Ein starkes Buch auch noch mit einem ganz starken Schluss enden zu lassen.
Heinz Strunk: Junge rettet Kind aus Teich
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg
282 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-498-06426-6
Hörbuch: Roof Music
Vier CDs, 19,99 Euro
ISBN 978-3-86484-026-5
Von Andreas Heimann, dpa - Cover: Roof Music