Wer mehr als 450 Millionen Harry Potter-Exemplare verkauft hat und reicher ist als die Queen, darf schon mal die Regeln vorgeben. Über ihren neuen Roman "Ein plötzlicher Todesfall" hat die britische Erfolgsautorin Joanne K. Rowling allerstrengste Geheimhaltung verhängt.
Die Spannung vor dem Verkauf der ersten Exemplare am Donnerstag 9 Uhr ist deshalb groß - natürlich auch, weil Rowling erstmals für Erwachsene geschrieben hat. "Das ist das geheimste Buch, das wir je gemacht haben", sagt Ullstein-Verlegerin Siv Bublitz.
Aber was wäre eine weltweit geölte PR-Maschinerie, wenn nicht ein paar Blicke durchs Schlüsselloch den Hype noch mehr anheizen würden? Das renommierte US-Magazin "The New Yorker" und die britische Tageszeitung "The Guardian" durften offenbar schon recht ausführlich ins Manuskript schauen. Sie habe so viele Verträge unterzeichnen müssen wie normalerweise bei einem Hauskauf, verriet die Autorin des "Guardian". Die anderen berufsmäßigen Buchbesprecher wurden auf den offiziellen Verkaufsstart vertröstet. Sie müssen sich dann im Eiltempo durch die - auf Deutsch - 567 Seiten fressen.
Alles zusammengenommen ist "Der plötzliche Todesfall" offenbar eine leidenschaftliche Anklageschrift gegen die Kluft zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht, Liebe und Vernachlässigung in einer kleinen Stadt im Westen Englands. "Ich glaube, es gibt einen roten Faden - Vergänglichkeit und Moral, die beiden Dinge, von denen ich besessen bin", verriet Rowling dem "New Yorker".
"Es ist einfach das, was ich jetzt schreiben wollte"
Stille Hauptfigur ist der 40-jährige Gemeinderat Barry Fairbrother, der gleich zu Anfang stirbt. Weil sein Sitz im Gemeinderat neu besetzt werden muss, entbrennt in dem beschaulichen Ort ein erbittertes Hauen und Stechen. Stein des Anstoßes ist vor allem ein Armenviertel mit heruntergekommenen Häusern und vernachlässigten Kids, um das Fairbrother sich bisher gekümmert hat. Seine konservativen Nachbarn wollen diesen "Schandfleck" der Stadt loswerden.
Warum die Meisterin der Hexengeschichten ihr Metier gewechselt hat und nun von sehr realen gesellschaftlichen Problemen schreibt, dafür hat sie eigenen Angaben zufolge keine direkte Erklärung. "Es ist einfach das, was ich jetzt schreiben wollte", sagte die seit langem sozial engagierte Rowling am Mittwoch dem Sender BBC. Ausdrücklich fügte sie hinzu, es sei "wirklich kein Buch für Kinder". Schließlich geht es den Berichten zufolge auch um Drogen, Sex, Gewalt, benutzte Kondome vor der Haustür und einen Jungen, der "mit einem Stechen im Herzen und in den Eiern" im Schulbus sitzt.
Rowlings Stil sei nicht einfach zu übersetzen, finden Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol, die gemeinsam für die deutsche Fassung verantwortlich zeichnen. "Anfangs legt man munter los, aber der Teufel steckt im Detail", berichteten sie laut Verlag. Das Duo hatte nur vier Wochen Zeit für die mehr als 500 Seiten, es musste im Gebäude des Verlags Little, Brown in London arbeiten. Die Laptops seien mit dreifachen Codewörtern gesichert und mit einem Sicherheitsschloss am Schreibtisch angekettet gewesen, erzählten die beiden. In der Druckerei gab es Taschenkontrollen für die Mitarbeiter, die Auslieferung erfolgte in verplombten Lastwagen.
Carlsen-Geschäftsführer Joachim Kaufmann, der auch schon die ebenfalls geheime Auslieferung der Potter-Bände gemanagt hat, verteidigt die Strategie. "Der Inhalt ist so gut und so überraschend anders als Harry Potter, dass er es verdient hat, dass mit dem Erscheinungstermin alle gleichzeitig lesen können und sich nicht durch Vorabgerüchte ihre Meinung bilden müssen", sagte Kaufmann. Zudem sei es nötig, sich vor dem immer größer werdenden Problem der Piraterie zu schützen.
In deutscher Sprache geht "Der plötzliche Todesfall" mit einer Auflage von 500.000 Exemplaren an den Start. Der Ullstein Verlag in Berlin und der Hamburger Carlsen Verlag haben sich für das Mammutprojekt zu einer ungewöhnlichen Kooperation zusammengeschlossen: Das Hardcover erscheint bei Carlsen, das Taschenbuch später bei Ullstein, am Schluss wird geteilt. Knausern wollten beide Häuser jedenfalls nicht. Carlsen-Manager Kaufmann: "Das Buch wird eine der größten Werbekampagnen erfahren, die es je im Buchmarkt gab."
Von Nada Weigelt, dpa - Bild: Jens Norgaard Larsen, afp