Missmutig und etwas melancholisch wie so oft lässt sich Commissario Brunetti auf Venedigs Wasserwegen zum Tatort fahren. Mal geht es um Korruption im Bauwesen, dann um Umweltskandale oder um die Behandlung von Asylbewerbern.
«Gott, was für einen schrecklichen Beruf du doch hast, Guido», so meint Ehefrau Paola in «Wie durch ein dunkles Glas» zu ihrem Gatten. Die Kriminalfälle in der Lagunenstadt löst Brunetti, die Drahtzieher indessen kommen oft ungeschoren davon. Willkommen in der Welt der Donna Leon, die seit zwei Jahrzehnten mit ihren Krimis und dem Lokalkolorit der Serenissima begeistert. Sie lebt und schreibt in einem Palazzo unweit vom Rialto entfernt.
Schreiben sei keine Arbeit, sondern Amüsement. Mit diesem Credo ging die Amerikanerin daran, eine der meistgelesenen Autorinnen zu werden. Sie erfand den so sympathischen wie sensiblen Commissario Brunetti und ließ ihn in «Das Venezianische Finale» einem Mord an Venedigs Oper La Fenice nachgehen. Der Rest ist Geschichte - Literatur-Geschichte. In ihrer Heimat USA ein Flop, geriet der Krimi 1993 in der deutschen Ausgabe zum Riesenerfolg. Mit dem Erfolg gerechnet hat Donna Leon nicht: «Das ist immer noch unglaublich für mich. Das ist nichts, was ich jemals wollte. Ich hatte niemals vor, berühmt zu werden», sagte sie im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.
20 Jahre - 20 Fälle
Jedes Jahr folgt ein neuer «Brunetti» - 2012 sein 20. Fall: «Reiches Erbe». Meist für das Fernsehen verfilmt, können die Fans Brunettis Ermittlungen längst mit einem Stadtplan und einem Brettspiel in der Lagunenstadt verfolgen. «Die nächsten beiden Bände, die nächstes Jahr auf Deutsch erscheinen werden, sind schon fertig: Bei dem einen geht es um die Herstellung von Fleisch, und bei dem anderen geht es darum, wie wichtig Sprache für uns ist», sagte Leon im Interview.
Zur Schriftstellerei und nach Venedig kam die Amerikanerin aus dem Ostküsten-Bundesstaat New Jersey eher zufällig. Nach dem Studium in ihrer Heimat und in Italien unterrichtete sie Englisch und englische Literatur, etwa an amerikanischen Schulen in China und im Iran. Donna Leon war auch zeitweise an einer Außenstelle der Universität Maryland auf der US-Militärbasis in Vicenza tätig. Dann entdeckte sie Venedig und das einmalige Ambiente der historischen Stadt der Kanäle.
Die Stimmung in der Lagunenstadt, das Flair der Serenissima und der sanfte Kommissar mit der so reizenden Familie und der anziehenden Kollegin Signorina Elettra - diese liebevoll verpackten Ingredienzen, abgerundet mit einigen Klischees, machen den Erfolg ihrer Krimis aus. Da spielt es offensichtlich keine große Rolle, dass die Plots oft wenig originell sind. Gewalt mag Donna Leon sowieso nicht. Und zu ihrem Alter Ego, diesem leisen Fahnder in Zivil mit dem Hang zum gutem Essen, passt nur eine Passion nicht, die die Autorin sich selbst ausleben lässt: Sie liebt Opern über alles und schwärmt vor allem für das, was Georg Friedrich Händel komponierte.
Ein Musikroman ohne Brunetti
Mit ihrem neuen Roman «Himmlische Juwelen» über eine junge Musikwissenschaftlerin will die Krimiautorin für die Kompositionen des Barock werben. «Ich möchte, dass die Leute diese Musik hören», sagte sie im Deutschlandradio Kultur. Musik mache das Leben «einfach interessanter und angenehmer» - für Leon vor allem die des Barock. Musik hört sie jedoch nur, wenn sie ein Konzert besucht - oder wenn sie bügelt. «Das ist wie eine Therapie für mich. Und dann höre ich Musik. Dann muss ich nichts anderes tun, nichts anderes denken. Als diesen Kragen zu bügeln und diesen Armbund», erzählte sie schwärmerisch im dpa-Interview.
Die Lagunenstadt ist eine einmalige Kulisse und ein Kontrast zu den hässlichen Verbrechen. Geht es um venezianische Tagesthemen, etwa um Korruption oder Prostitution, dann braucht sie nur in die Zeitungen zu schauen und ihren italienischen Freunden zuzuhören. Bei Spaghetti mit Tomaten-Basilikum-Sugo, Büffelmozzarella oder feinem Gelato, den Lieblingspeisen der Autorin, sammelt sie so Material für den nächsten Fall. «Mich inspirieren Gerüchte. Wenn Sie in einer kleinen Stadt leben und Venedig ist eine kleine Stadt, es leben dort nur 59.000 Menschen, da gibt es keine Geheimnisse.»
Erleichtert wird diese Vorarbeit auch dadurch, dass ihre Krimis nicht ins Italienische übersetzt werden. Viele kennen sie nicht als Autorin, sind ihr gegenüber unbefangen. Sie möchte eine Privatperson in Venedig bleiben und nicht als Fremde gelten, die über ihr Gastland urteilt. Was sie für die Millionen Leser anderswo aber durchaus tut.
dpa - Bild: Eifel Literatur Festival