Eine erschreckende Kontinuität stellt Simone Paganini fest: Jüdische Menschen wurden über die Jahrhunderte aus unterschiedlichen Gründen gehasst und verfolgt. Angefangen hat der Antisemitismus bereits vor 2.500 Jahren, als das jüdische Volk in der Bibel zum ersten Mal Erwähnung fand. "Ab dem Moment, wo es Judentum gibt, wo es Menschen gibt, die sagen, wir gehören zum Volk Israel, gibt es unerklärlich Antisemitismus. Und es gibt ihn bis heute, pausenlos durch die Geschichte."
Anhand biblischer Quellen zeigt Paganini auf, dass Juden im Laufe der Geschichte immer wieder als die Schuldigen dargestellt werden - und zwar im Kollektiv. Pauschal werden ihnen Eigenschaften unterstellt wie Hinterlist, Bosheit oder auch Illoyalität. Das erste Beispiel findet Paganini im Alten Testament im Buch Exodus "wo der Pharao auf die Idee kommt: Die Juden sind viele. Im Falle von Krieg könnten sie illoyal werden. Also töten oder versklaven wir sie."
Auch an vielen anderen Stellen der Bibel findet Paganini Erzählungen über den Versuch der Ausrottung des jüdischen Volkes. Das Pogrom von Alexandria zum Beispiel sei eines der frühesten dokumentierten Beispiele für organisierte Gewalt gegen eine jüdische Gemeinschaft in der römischen Welt. Es weise bereits alle Elemente des modernen Antisemitismus auf. An anderer Stelle findet sich im Alten Testament bereits die Verbindung von Juden mit Geld und Habgier, die später zur Rechtfertigung von Enteignungen und Plünderungen herangezogen werde.

Der Antisemitismus zeichne sich durch etwas aus, das man auf keine andere Gruppe übertragen könne, so Paganini. Der Hass gegen Juden entwickele sich immer aus einer anfänglichen Bewunderung heraus und nicht, weil man sie als minderwertig betrachte. Die totale Entmenschlichung - ein Merkmal des Genozid - erfolge erst später. "Davor ist der Jude derjenige, der die Gesellschaft organisiert. Viele Verschwörungsmythen gehen in diese Richtung: Juden als Gesellschaftslenker und Finanzgrößen. Ich kenne keine andere Gruppe, die so mit Stereotypen behaftet ist und als Sündenbock für Probleme herhalten muss - ob für Epidemien in der Antike oder die Wirtschaftskrise im 20. Jahrhundert."
Nicht nur im Alten, auch im Neuen Testament erkennt Paganini antisemitische Haltungen und fordert die christlich geprägte Gesellschaft Europas auf, die historische Mitverantwortung für die Entwicklung des Antisemitismus anzuerkennen. Umgekehrt könne aber die Geschichte der Verfolgung keine Rechtfertigung für alles sein, was Israel heute mache. "Dagegen würde ich mich auch aussprechen. Was aber für mich klar wird nach meiner Analyse: Antisemitismus ist ein irrationales Phänomen mit klaren Merkmalen, die sich in 2.500 Jahren kaum geändert haben."
Warum sind immer die Juden Schuld? Am Ende bleibt die Frage offen. Wenn aber die christlich geprägte europäische Gesellschaft die eigene historische Verantwortung für den Antisemitismus anerkenne, sei dies ein erster Schritt in die richtige Richtung, so Paganini, und eine Voraussetzung für ein künftiges wertschätzendes Miteinander.
Ausführliches Radio-Interview mit Professor Simone Paganini im Player:
Simone Paganini "Warum sind immer die Juden schuld? Antisemitismus in der Bibel"
Buchpräsentation und Diskussion am 10.7.2025, 19 Uhr, im Generali-Saal, Super-C, Templergraben 64, 52062 Aachen.
Um Anmeldung wird gebeten: sekretariat@kt.rwth-aachen.de
Michaela Brück