Genau dafür sind Bücher in ihrer physischen Form gemacht: Es bereitet pure Freude, durch das 120 Seiten starke Bändchen zu blättern, von anspruchsvoller, mitunter sperriger Lyrik zu autobiographischen, auch launigen Kurzgeschichten.
Dem auffälligen Titelbild liegt das Bild "Signatur einer Sekunde" von Erwin Radermacher zugrunde, der auch mit einem Text zum "Urknall" vertreten ist, was dem Herausgeber Kurt Roessler gefallen dürfte, seines Zeichens Professor für Astrochemie. Wobei es ihm die am Schluss des Bandes gezeigten "Scheunentore" des Fotografen Johannes Weber mindestens ebenso angetan haben. "Was mich da immer wieder berührt hat, ist, dass diese Leute ihre Landschaft im Herzen tragen und dass sie begeistert davon sind, auch wenn sie darüber schreiben."
"Und das zeigt sich auch bei den Jungen, etwa bei Herrn Watroba oder bei Herrn Haas, in den Romanen, wo immer doch dieses Gefühl dafür mitschwingt. Es zeigt sich auch bei den Zugezogenen, wie es so schön heißt, vor allen Dingen bei Herrn von Serényi und auch im Anfang bei Frau von Asten." Verena von Asten ist 1932 in Ulm geboren, lebt aber seit 65 Jahren in Eupen. Wilfried von Serényi, Jahrgang 1936, stammt aus der Schweiz und lebt in Kelmis. Beide tragen zur ostbelgischen Literatur bei, der eine mit knappen Gedichten, die andere mit Kurzgeschichten.
Der Publizist und Fotograf Rolf Stolz, selbst ein Schriftsteller, hat sie wie andere Autoren für das Themenheft von "Rhein!" gewinnen können. "Ich habe etliche dieser Autoren auch besucht, wie Freddy Derwahl. Aber eben auch Jüngere wie Olivier Watroba. Und so ist dann in einem durch die Corona-Zeit sehr mühseligen und sehr gestörten Prozess am Ende diese Zeitschrift zustande gekommen."
Auch Rolf Stolz hat Landschaft und Lebensart in Ostbelgien seit Langem kennen und lieben gelernt und kann diesem überschaubaren Landstrich etwas "Unverwechselbares" abgewinnen, wie er im Vorwort zu dem Heftchen schreibt. "Das sind ja in manchem Welten, also auch einfach von den Menschen her. Da ist der Zugang ein ganz anderer. Während Eupen ja nun wirklich so die kleine Metropole, das intellektuelle Zentrum ist, ist für meine Begriffe St. Vith ein Gegenpol."
Aufgenommen wurden auch Autoren, die in Ostbelgien ihre Wurzeln haben und bewahren, aber weggezogen sind wie Maryanne Becker aus Hauset nach Berlin oder Armin Foxius, der in Malmedy und Eupen aufgewachsen ist und eher für seinen "Kölsche Klaaf" bekannt ist - Aufnahme in den Sammelband fand seine herrliche Erzählung "Le Roi et moi".
Nicht fehlen dürfen "die üblichen Verdächtigen" Freddy Derwahl, Marcel Bauer, Suzanne Visé, Bruno Kartheuser, Leo Gillessen und Robert Schaus, von denen die drei Letztgenannten ihre literarische Plattform über viele Jahren im "Krautgarten" und in dessen Edition hatten. Auch davor verbeugen sich Kurt Roessler und sein Verein "Kunstgeflecht" in dem neuen Themenheft von "Rhein!". "Es hat mich fasziniert, wie diese Gruppe das so geschafft hat, ein internationales Journal zu machen, mit deutschen und vielen internationalen Schriftstellern über Jahrzehnte hinweg. Das war für uns mit diesem kleinen Reihenheftchen seit 2011 schon sehr beeindruckend."
Gleiches gilt aber auch für diese ansehnliche Zusammenstellung dessen, was die ostbelgische Literatur mit ihren vielen Facetten zu bieten hat. Für den literarisch interessierten Ostbelgier eine Pflichtlektüre. Das Heft Nr. 24 der Zeitschrift "Rhein!" zur deutschen Literatur aus Ostbelgien ist im Verlag K. Roessler, Bornheim erschienen.
Stephan Pesch