Als Salvatore Todaro, ein italienischer U-Boot Kommandant im Hafen von La Spezia im September 1940 nach einem schweren Unfall wieder an Bord geht, ist seine Frau entsetzt. Sie hätte lieber einen kranken aber lebenden Mann zuhause, als einen, der in den Krieg zieht. Doch Todaro ist Patriot durch und durch. Er befehligt im Zweiten Weltkrieg ein U-Boot der italienischen Kriegsflotte. Im Atlantik kurz vor Madeira sichtet er einen belgischen Frachter und lässt ihn versenken. Sechsundzwanzig belgische Seeleute retten sich gerade noch so in ein marodes Rettungsboot. Es ist eindeutig, dass sie im Meer nicht überleben werden.
"Seeleute machen so etwas"
Eindeutig sind auch die Befehle, die Todaro hat. Versenken, wegfahren und die Überlebenden sterben lassen. Es ist schließlich Krieg. Doch er missachtet diesen Befehl, der von Dönitz für die Nazi-Allianz und ähnlich auch von Churchill für die Alliierten angeordnet wurde. Todaro nimmt trotz der Proteste seiner eigenen Mannschaft die schiffbrüchigen Belgier, die Feinde, an Bord und rettet sie vor dem sicheren Ertrinken. "Wir sind Seeleute", soll er damals gesagt haben, "die machen so etwas".
Diese wahre Geschichte gerät in Vergessenheit. Kaum einer kennt sie. Doch fast 80 Jahre später wiederholt sich eine ähnliche Geschichte. Wieder sollen Schiffbrüchige in Seenot ihrem Schicksal überlassen werden. Nicht im Krieg. Es sind Menschen, die aus Not, vor Krieg und vor Misshandlung über das Mittelmeer fliehen.
Der Kapitän der italienischen Küstenwache hat den Befehl, vor der libyschen Küste keine Menschen aus Seenot zu retten. Doch der italienische Kapitän ist einer der wenigen, der Todaros Geschichte kennt und nimmt die Schiffbrüchigen an Bord. Auf die Frage, warum er die Befehle missachtet hat, antwortet er ähnlich wie es wohl auch Todaro tat: "Wir sind italienische Seeleute, unsere Zivilisation ist zweitausend Jahre alt, und so etwas …… machen wir einfach".
Die beiden Autoren hören davon und auch sie sind entsetzt, was gerade im Mittelmeer passiert. "Der Sommer 2018 in Italien war furchtbar. Wie in jedem Sommer stiegen die Zahlen derer, die aus den libyschen Lagern übers Meer flohen. Dieser Sommer war deshalb so entsetzlich, weil in Italien anstelle einer starken Solidaritätsbewegung eine massive fremdenfeindliche Reaktion aufkam.
Universeller Humanismus
Über sie, die Ärmsten der Armen, wurden in den sozialen Medien die niederträchtigsten Sprüche verbreitet. Wie: "Wir wünschen den Fischen guten Appetit." Das ist der Ansporn für De Angelis und Veronesi eine literarische Botschaft des universellen Humanismus zu senden.
Und dann geschieht ein wundersamer Zufall, wie Veronesi schreibt. Sie lernen Todaros Tochter kennen. Als sie die Nachfahrin besuchen, übergibt sie den beiden zwei schwere Koffer. Voll mit Briefen, die Todaro geschrieben hat, mit Büchern, die er gelesen hat und seinen Auszeichnungen. Es ist eine Schatzgrube, mit der die beiden aus der historischen Geschichte einen Roman erschaffen.
Zuerst entsteht ein Film, der im Herbst 2023 auf den internationalen Filmfestspielen in Venedig vorgeführt wird. Er ist sehr patriotisch, auch wenn uns das in der heutigen Zeit ungewohnt vorkommt, vielleicht passt gerade das zu Todaro.
Im Film erklärt er seiner Mannschaft und den verwunderten Belgiern, warum er die Feinde rettet. An Bord des U-Bootes in gedrängter Enge lässt er einen Belgier seine Worte an alle auf Niederländisch übersetzen. "Leutnant Leclerc, übersetzen Sie: Wir sind etwa 300 Meilen von Santa Maria auf den Azoren von dem nächsten sicheren Hafen entfernt, um dort die Schiffbrüchigen abzusetzen." Er erklärt: "Ich habe Schiffbrüchige an Bord, das bedeutet die Regeln zu brechen. Feindliche Schiffe versenken wir ohne Gnade, und ohne Furcht. Aber den Menschen retten wir, wir sind im Krieg, aber wir sind immer noch Menschen."
Das Buch ist nicht ganz so pathetisch. Es ist feinsinniger geschrieben und lässt die unterschiedlichen Menschen mit ihren Ansichten zu Wort kommen. Abwechselnd lassen die Autoren mal den Comandante, den Obermaat oder den Koch sprechen, zweimal auch die Frauen. Edoardo De Angelis und Sandro Veronesi ist ein atmosphärisch dichter Roman gelungen. Die Strapazen an Bord, die verstopfte Ersatztoilette, die üblen Gerüche nach Diesel und der Mief verschwitzter Körper lassen sie die Leser spüren.
Sie zeigen die Begeisterung der Männer für den Krieg, ihre Todessehnsucht, aber auch ihre unbändige Freude zu überleben. Nur einmal taucht auf, dass Todaro für die Faschisten in den Krieg zieht, als sich einer der Geretteten fragt, warum sie diese Gnade von diesem Feind erfahren. Die belgischen Seeleute hatten Glück. Ein Glück, das alle Menschen in Seenot haben sollten. Denn Menschen in Seenot sind Menschen.
Es ist ein sehr gelungener und lesenswerter literarischer Aufruf trotz Kriegen, Krisen und Pandemien, die Menschlichkeit nicht zu vergessen. Für die Zeiten damals und auch heute.
Das Buch
"Comandante" von Edoardo De Angelis und Sandro Veronesi ist im Zsolnay-Verlag erschienen.
Katja Engel
Tolle Rezension, liebe Katja und so zeitlos. Die menschenfeindliche italienische Regierung, Frontex und die Abschiebungsfetischisten sollen sich das Buch mal durchlesen - aber das werden sie nichtL😂
Das ist eine sehr anschauliche Rezension, die Lust macht, das Buch zu lesen. Der Inhalt zeigt auch, dass viele Menschen "Im Grunde gut" sind, wie es Rutger Bregman in seinem wunderbaren Buch beschreibt und an Hand von Berichten belegt.