Eine Reise zum Südpol war vor über 100 Jahren - also als gerade der Eiffelturm gebaut wurde - noch ein sehr gefährliches Unterfangen. In der Antarktis herrschten nicht eisige Temperaturen, sie war noch relativ unerforscht.
Einige Schiffe, die den Südpol dennoch ansteuerten, sind samt Mannschaft für immer im Eis versunken. Es gab aber auch erfolgreiche Seefahrergeschichten, doch die wurden von Ländern wie England, Schweden oder auch Deutschland geschrieben. Diesen Ruhm auch Belgien zu verschaffen, davon träumte der belgische Marineoffizier Adrien de Gerlache. Mehr noch: Er war besessen davon. Er sammelte über Jahre Geld und ließ ein geeignetes Schiff umbauen.
Im Jahr 1897, vor 125 Jahren, ist es dann soweit. Unter großem Jubel sticht die Belgica in See, auf der Suche nach dem bislang noch nicht entdeckten Südpol in der Antarktis. Doch die Expedition steht unter keinem guten Stern und droht zur totalen Katastrophe zu werden. Adrien de Gerlache ist zwar ein exzellenter Seefahrer, doch das Schiff ist überladen und es droht mehrmals zu kentern. Ein übellauniger Koch, ein unfähiger Maschinist, eine Mannschaft, die sich ständig streitet, und ein Kommandant ohne Autorität machen es nicht einfach. Am Ende kämpfen alle um das reine Überleben.
Wie die Reise verläuft und trotzdem noch gut ausgeht, schildert Julian Sancton äußerst spannend in seinem neuen Buch mit dem Titel "Irrenhaus am Ende der Welt - die Reise der Belgica in die dunkle antarktische Nacht".
Von der belgischen Antarktisexpedition hatte der Journalist Sancton vorher noch nie gehört. In dem Podcast von Little Atoms erzählt er, wie er an seinem Schreibtisch sitzt, eine Zeitschrift durchblättert und auf einen Artikel stößt, in dem steht, wie die amerikanische Weltraumorganisation Nasa Missionen zum Mars plant. Sie will wissen, wie Astronauten extreme Isolation aushalten und die menschliche Psyche den Belastungen standhält. Ihre Lektüre sind die Tagebücher der Belgica.
Der Grund für das Interesse der Nasa: Die belgische Polarexpedition ist nicht nur wütenden Gewässern ausgesetzt. Als Gerlache beschließt, das Schiff im Eis einfrieren zu lassen, anstatt umzukehren, beginnt gerade der polare Winter. In absoluter Dunkelheit, in einer extrem widrigen Umgebung und tausende von Meilen von der Heimat entfernt, ohne Möglichkeit Kontakt aufzunehmen - das kann auch den Astronauten passieren, dachte sich die Nasa.
Dass die Belgica nach fast zwei Jahren zurück nach Belgien kommt, ist das Verdienst zweier sehr kreativer Männer. Mit auf dem Schiff sind der noch junge Roald Amundsen und Frederick Cook, ein amerikanischer Arzt. Ihre Stunde kommt, als das Schiff im Packeis festfriert. Nach und nach erkranken die Männer nicht nur an Skorbut, sondern in der völligen Isolation, der Kälte und der Dunkelheit greift auch der Wahnsinn um sich. Doch Cook denkt sich neue innovative Behandlungsmethoden aus, redet mit den Menschen und Amundsen verbessert die Ausrüstung.
Packend wie ein Thriller
Geschaffen hat Sancton mit seinem Buch ein seltenes Juwel unter den Sachbüchern. Denn er kann gut erzählen, er lässt die gefährliche Reise mit allen Sinnen erleben und die Leser spüren regelrecht, wie die wütenden Wogen des Eismeeres das Schiff durchrütteln, wie die lange Dunkelheit auf dem Schiff den Seeleuten zusetzt und man friert regelrecht mit der Mannschaft mit, wenn sie in Zelten mitten in Eis und Schneematsch übernachten. Als das Schiff dann nach Monaten endlich aus dem Packeis freikommt, ist auch der Leser spürbar erleichtert.
Das Buch ist zudem nicht nur packend wie ein Thriller geschrieben, es ist sehr gut recherchiert. Sancton hat alle Tagebücher der Reisenden gelesen und mit den Nachkommen von Gerlache gesprochen. Die Reise ist auch nicht nur ein wertvoller Ratgeber für zukünftige Reisen zum Mars. Die Forscher auf dem Schiff haben viele unbekannte Pflanzen und Tiere gesammelt und bringen viel Wissen auch zur Geografie mit zurück.
In der Geschichte der Antarktisforschung taucht die Reise der Belgica oft nicht auf, das aber ist nicht gerechtfertigt. Vielleicht ändert das Buch von Sancton daran etwas.
Katja Engel