Die Literaturkritik hat ihr das Etikett "katholische Viebig" verpasst. Sie selbst empfand das als unangebracht und beleidigend. Denn die Eifeldichterin Nanny Lambrecht war ganz sicher nicht angepasst.
Dr. Christina Niem von der Universität Mainz hat die Nanny Lambrecht ihre Doktorarbeit gewidmet. "Als Schriftstellerin ist sie sehr schnell in einen sogenannten Literaturstreit geraten, weil sie mit ihren Schriften für die damaligen katholischen Literaturkritiker zu freizügig und offen berichtet hat", erklärt Niem. Da galt schon die Schilderung eines Mädchens als anstößig, dass bei der Feldarbeit mit nackten Armen zupackt. Bei Nanny Lambrecht führte das aber nur dazu, dass sie noch unangepasster wurde.
Am 15. April 1868 im Hunsrück geboren, unterrichtete die junge Nanny Lambrecht, nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin und einem zusätzlichen Studium der französischen Sprache, erst an einer Schule in Malmedy, das damals zur preußischen Rheinprovinz gehörte. "Sie hat in dieser Zeit das Land, die Eifel, die Wallonie, das Hohe Venn kennengelernt und war von dieser Landschaft und auch von den Menschen dort fasziniert", sagt Niem.
Dialekt und Mundart
Allerdings war der schwere Beruf als Lehrerin für Nanny Lambrecht auch nicht das Wahre. Sie wandte sich dem Schreiben zu und verarbeitete ihre Erfahrungen in Romanen und Erzählungen. Dabei schaute sie den Leuten, um es mal so auszudrücken, auch aufs Maul, indem sie beispielsweise sehr getreu den wallonischen Dialekt wiedergab. "Dass Dialekt und Mundart im Roman verarbeitet wurden, dass die Natur und bestimmte Regionen so eine große Rolle spielten, war damals etwas Neues."
Eben wie bei Clara Viebig, die das vor allem für die Osteifel entdeckt hatte. Nanny Lambrecht thematisierte in dem Roman "Die Statuendame" von 1908 auch ein politisches Thema aus ihrer Malmedyer Zeit: die Bestrebungen Bismarcks, die wallonische Minderheit zu germanisieren.
In Malmedy lernte sie auch die Wallonin Fanny Bierens kennen, mit der sie ab 1904 in Aachen zusammen lebte. Solche Zweckgemeinschaften bildeten sich zu jener Zeit etwa aus wirtschaftlichen Gründen - bei Nanny Lambrecht war es aber wohl mehr. "Es ist zwar nicht hunterprozentig belegt, aber viele Indizien sprechen dafür, dass es eine lesbische Beziehung gewesen ist. Und das war für die katholische Literaturwelt, in der sie Anfang des 20. Jahrhunderts unterwegs war, ein absolutes Tabu."
Zwei Dutzend Bücher
Rund zwei Dutzend Bücher hat Nanny Lambrecht der Nachwelt hinterlassen. Den literarischen Wert sieht Christina Niem aus heutiger Sicht sehr nüchtern. "Wenn ihr Werk einen großen literarischen Wert hätte, dann wäre sie heute sicherlich noch wesentlich bekannter. Diese Schriftstellerin habe ich mir ausgesucht, weil sie die Region so gut beschreibt - allerdings nicht in der Art und Weise, wie Literaturkritiker das als ästhetisch betrachten", so Niem.
Herauslesen lasse sich aber aus diesen Romanen und Erzählungen eben die Lebenswirklichkeit jener Zeit. "Was für Moralvorstellungen gab es? All das finde ich faszinierend. Allerdings muss man sich durch die Sprache auch ganz schön durchbeißen. Es ist ein bisschen expressionistisch angehaucht und manches ist sehr zäh. Der Roman 'Die Statuendame' hat fast 700 Seiten, da kommt man nicht so einfach durch."
Nanny Lambrecht verstarb am 1. Juni 1942 in Schönenberg (Rhein-Sieg-Kreis).
Stephan Pesch