"Die Hauptstadt" heißt dieser Roman, geschrieben wurde er von dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse. Das deutsche Feuilleton ist voll des Lobes für diesen Roman, der auch als ein gelungener Europa-Roman gefeiert wird, weil die Handlung zum großen Teil auch im EU-Milieu spielt.
Robert Menasse ist ein erfahrener Schriftsteller und versteht sein Metier. Der 63-Jährige hat schon viele Preise für seine Bücher bekommen. Und das merkt man seinem Brüssel-Buch einfach auch an. Es ist sehr vielschichtig, lädt zum Nachdenken ein, ist aber sprachlich auch nicht zu schwer und wird nicht langweilig.
Und dann führt einen das Buch tatsächlich rein in das heutige Brüssel. Menasse beschreibt die Stadt so, wie sie ist. Alle Plätze und Straßen gibt es wirklich, man kann mit den Personen im Roman im Kopf richtig mitgehen, gerade wenn man die Stadt gut kennt. Eine spannende und eine lebendige Leseerfahrung.
Menasse erzählt gleich mehrere Geschichten, die alle ihren Schwerpunkt in Brüssel haben, manchmal aber auch ausschweifen nach Wien oder nach Krakau in Polen. Aber im Grunde ist es die Stadt Brüssel, die alle Geschichten zusammenhält.
Es gibt zum Beispiel einen jungen Mann aus Österreich, der nach seiner Promotion gerade bei der EU-Kommission angefangen hat, seine Chefin, die aus Zypern stammt und Karriere in der Kommission machen möchte, einen emeritierten Professor für Wirtschaft, der bei einer Beratergruppe für den EU-Kommissionspräsidenten einen Vortrag halten soll, aber auch einen Brüsseler Polizeikommissar, der einen Mord aufklären soll, einen Überlebenden von Auschwitz, der von der Place Sainte-Catherine in ein Altersheim am Rande des Brüsseler Friedhofs zieht.
Und dann gibt es immer noch ein paar Nebenfiguren, denen sich Menasse auch oft ein paar Seiten widmet - und schließlich auch ein Schwein, das im Zentrum von Brüssel über Straßen und Plätze läuft. Das Schwein taucht als Thema immer wieder mal im Roman auf. Ein Schweinezüchter, Redewendungen, in denen ein Schwein vorkommt - das typisch belgische, surreale Element von Menasse für sein großes Porträt über die Stadt Brüssel.
Denn das ist der Roman tatsächlich: Ein großes Porträt der Stadt Brüssel, vor allem des Brüssels der EU, der Mitarbeiter der EU, ihres Umfelds, das Brüssel, wie es diese sogenannten "Expats" erleben, innerhalb ihrer EU-Einrichtungen und dann auch im Alltag. Und das schafft Menasse ganz hervorragend.
Da haben wir auf der einen Seite die aalglatten EU-Mitarbeiter, die großen, luxuriösen Gebäude, und daneben direkt die kaputte Rolltreppe, die zur Metro hinunterführt. Baustellen, wegen derer man den Eingang zu einem Gebäude nicht findet, die Zweisprachigkeit der Stadt, die Menasse einfach auch in Originalsprachfetzen so stehen lässt, also auf flämisch und französisch.
Bis hin zu den Tageszeitungen wie Le Soir, De Morgen und De Standaard, die es ja tatsächlich gibt und die den Alltag von dieser EU-Mitarbeiterschicht mitgestalten. Also insgesamt ein großes Porträt der Stadt, allerdings mit dem Schwerpunkt der Stadt Brüssel als Zentrale der Europäischen Union.
Einziger Schwachpunkt ist, dass das Buch keinen richtigen Sog entwickelt. Es zieht den Leser nicht so sehr in das Geschehen rein, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen möchte. Aber es ist ein unheimlich intelligentes Buch, das alles hat: Unterhaltung, lustige Szenen und hoch-intellektuelle Ideen zur Zukunft der EU.
Kay Wagner - Bild: Thierry Roge/Belga