"Man sagt ja, das Leben schreibt die Geschichten", sagt dazu Wendel Schäfer. "Ich bin ja auch 39 Jahre in der Schule gewesen und es war eine besondere Schule. 'Sonderschule' haben wir auch gesagt. Da gab es sehr viele Menschen mit Handicaps und Behinderungen, es wurde sehr viel gemobbt und zurückgestellt und die sind mir dann doch mit der Zeit etwas ans Herz gewachsen - gerade diese Art von Menschen."
Wendel Schäfer stellt dem Leser die außergewöhnlichsten Charaktere vor: Da hat einer im besten Sinne einen Vogel, beweist ein Außenseiter herausragende sinnliche Fähigkeiten oder blüht ein Pantoffelheld während der Reha-bedingten Abwesenheit seiner Frau förmlich auf ... und geht wieder ein, wie seine wohlduftende chinesische Ruhmesblume.
"Männer sind empfänglicher für diese skurrilen Dinge", sagt Wendel Schäfer, "Frauen weniger, die gehen rationaler an die Sache heran. Männer aber, die werden zu Sonderlingen, zu Typen, die sich dann zurückziehen und ein Eigenleben führen. Die sind, man kann sagen, aus der Zeit herausgefallen. Sie entsprechen überhaupt nicht mehr diesen Vorstellungen und Regelungen der 'normalen' Gesellschaft."
Dieser 'normalen' oder normierten Gesellschaft begegnen Schäfers Protagonisten in der Schule oder auf dem Amt: Hier sorgt schon das Buchstabieren des Namens (Wendel Schäfer hat eine Vorliebe für sprechende Namen), das Spiel mit Umlauten und Mehrfachkonsonanten für tragikomische Situationen.
Lieber sonderbar als langweilig
"Also ich habe es mehr mit den sonderbaren Menschen. Die anderen Menschen sind mir etwas langweilig und zu protzig und so bestimmend und so gesetzlich und so geregelt. Ich habe lieber die, die aus der Norm herauskommen", so Schäfer. Wobei die Geschichten immer anders ausgehen, als man sich das denkt, fügt er hinzu. Ohne hier allzu viel verraten zu wollen: nur in den seltensten Fällen nehmen sie ein gutes Ende.
"Diese Geschichten nennt man ja auch Umkipp-Geschichten, Wendegeschichten. Das fängt alles sehr harmlos und sehr natürlich an, der Leser merkt gar nicht, worauf er sich einlässt. Das hat Peter Lindemann, ein Rezensent, sehr gut ausgedrückt, wo er sagte: 'Die Schäferschen Pointen sind wie ein Sprung ins Schwimmbecken, bei dem der Leser erst im Anflug merkt: Da ist ja gar kein Wasser drin! Und das gibt dann harte Aufschläge", fügt Wendel Schäfer hinzu.
Schweigegold
In seinem neuen Band "Schweigegold" versagt etwa ein Stotterer in eben dieser ihm zugeteilten Rolle, als ihm bei der Schulaufführung alles glatt über die Lippen geht - wofür sie dem Spielverderber "die Fresse einschlagen", wie es heißt. "Zum ersten Mal habe ich einen Prosaband unter ein Generalthema gestellt und das heißt 'Kommunikation' - in allen erdenklichen Formen: Das geht vom Schweigen bis ins Brüllen und Schreien hinein."
"Schweigegold" ist der vierte Band, den der 1940 im Hunsrück geborene Wendel Schäfer in der Edition Krautgarten veröffentlicht - nach "Seilgetanz" (2005), "Atemkünste" (2011) und "Draußenschön" (2013). In der Zusammenarbeit mit den Literaturschaffenden um Bruno Kartheuser sieht der in Boppard am Rhein lebende frühere Landesvorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller in Rheinland-Pfalz einen gedanklichen Brückenschlag: "Wir haben uns gegenseitig besucht und auch genächtigt und gegessen und gefreut und gelacht. Robert Schaus spielt eine große Rolle, Leo Gillessen, Alfred Strasser und andere Leute. Die Brücke besteht tatsächlich in Gedanken, Worten und Werken."
Krautgarten
Umso mehr bedauert Wendel Schäfer, wenn die Literaturzeitschrift "Krautgarten" nicht weitergeführt würde: "Es existiert ja seit 35 Jahren und man weiß, wie kurzlebig gerade solche Zeitschriften sind. Ich habe selber Zeitschriften gegründet und auch mitgearbeitet, es sind alle eingegangen. Dieses Heft hat eine Sonderstellung. Es hat in diesen vielen Jahren etwa 5000 Seiten produziert über Kunst und Kultur, Essayistik usw. Und auf einmal kommt ein Misston in die ganze Geschichte."
Gemeint ist die im Rahmen des DG-Kulturförderdekretes begründete Ablehnung einer strukturellen Förderung der VoG Krautgarten, die Wendel Schäfer in der jüngsten Ausgabe der Literaturzeitschrift vom Mai als "Affront", als "dillettantisch" und "diskriminierend" bezeichnete. Herausgeber Bruno Kartheuser hatte erklärt, dass diese Ausgabe "die letzte in der bisherigen Machart" sei.
Der Vollständigkeit halber: Im neuen Band "Schweigegold" ist ausdrücklich vermerkt, dass er mit Unterstützung der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft veröffentlicht wurde.
Stephan Pesch