Seit 1985 erhält jährlich mindestens eine europäische Stadt den Titel Kulturhauptstadt Europas. Der Europäische Rat verleiht ihn auf Empfehlung der Europäischen Kommission. Ziel ist es, den "Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa herauszustellen und einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Bürger Europas füreinander zu leisten".
Jedes Jahr dürfen andere Länder mehrere ihrer Städte vorschlagen. Um die zehn neuen EU-Mitglieder einzubinden, sollen bis 2019 in der Regel jährlich zwei Titelträger, jeweils aus einem alten und einem neuen EU-Staat, ernannt werden. Inzwischen können auch Nicht-EU-Mitglieder teilnehmen.
Erste Kulturhauptstadt war 1985 Athen. Antwerpen führte 1993 als erste belgische Metropole den Titel, im Jahr 2000 folgte Brüssel. 2002 war Brügge an der Reihe. Die Stadt Mons ist für 2015 vorgesehen: Die Vorbereitungen laufen bereits seit einigen Jahren.
Mit Maribor kommt nächstes Jahr die europäische Kulturhauptstadt zum ersten Mal ins frühere Jugoslawien. Slowenien gehörte jahrhundertelang zum Habsburger Reich und damit zum deutschsprachigen Kulturkreis. Das damalige Marburg wurde im Zuge des aufkeimenden slowenischen Nationalbewusstseins erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum heutigen Maribor und zur zweitgrößten Stadt Sloweniens.
Das kleine Alpen- und Adrialand war über sieben Jahrzehnte Teil des kommunistischen Vielvölkerstaates Jugoslawien, orientierte sich aber schon immer mehr an Österreich als an der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad. Die wurde gern abwertend als "Balkan" bezeichnet, während sich die Slowenen selbst als West- oder Mitteleuropäer sahen.
Aus dieser Geschichte entspringt auch das Programm der neuen Kulturhauptstadt, das am 14. Januar mit einem Lichtspektakel am Drau-Fluss eröffnet wird. Auf der einen Seite wird selbstbewusst viel nationale Kunst und Lebensart präsentiert. Auf der anderen Seite sind die starken Beiträge aus den früheren Bruderrepubliken und heutigen Nachbarländern wie Kroatien nicht zu übersehen.
Die dritte Programmsäule will die Zugehörigkeit des erst seit 20 Jahren selbstständigen EU- und Natolandes Slowenien "zum Westen" unterstreichen. Die Londoner Tate Gallery kommt mit einer Ausstellung in die zweitgrößte Stadt Sloweniens.
Impulse für die soziale, ökonomische und städtische Regeneration
Die zweite Kulturhauptstadt des Jahres 2012 ist eher ein Geheimtipp: Das ebenso verträumte wie avantgardistische Universitätsstädtchen Guimarães im Norden Portugals erhofft sich einen touristischen Boom: "Wir erwarten 1,5 Millionen
Besucher, die eigens wegen des Events zu uns kommen werden", sagt João Serra, der Präsident der organisierenden Guimarães-Stiftung. In dem malerischen mittelalterlichen Zentrum der Stadt, das seit 2001 auf der Unesco-Welterbe-Liste steht, wird eifrig geschweißt, gehämmert und geputzt, denn der Startschuss soll am 21. Januar fallen.
Die zuletzt im Zuge der Schuldenkrise immer stärker aufgekommene Kritik, das verarmte Portugal könne sich eine solche Veranstaltung nicht leisten, lässt Serra nicht gelten. Er sieht die Kultur auch als eine Art Krisen-Killer. "2012 ist eine Chance. Kulturinvestitionen können wichtige Impulse für die soziale, ökonomische und städtische Regeneration geben", sagt er.
Die Stadt am Fuße der Serra da Penha gilt als die Wiege Portugals. Hier wurde der spätere König Alfons I. geboren, der im 12. Jahrhundert die Grafschaft Portucale von Spanien unabhängig und Guimarães zur ersten Hauptstadt Portugals machte. "Hier wurde Portugal geboren", prangt deshalb heute groß auf der Stadtmauer. Dass aber hier, 350 Kilometer nördlich von Lissabon, ein so buntes Szene- und Kulturleben pulsiert, ahnen Touristen meist nicht. Zumindest noch nicht.
dpa/wb - Bilder: Marton Magocsi, José Coelho (epa)