Die Kirchturm-Glocken im beschaulichen Dreischor, einem typischen Ringdorf in der Provinz Zeeland, schlagen gerade 10 Uhr, als ich pünktlich auf dem Weingut von Johan van der Velde eintreffe. Der Wind bläst ganz ordentlich über das flache Land in Küstennähe. Ich bin natürlich mit dem Fahrrad gekommen, dem praktischsten Fortbewegungsmittel, wenn man hier auf Entdeckungsreise gehen möchte.
Der Gebäudekomplex liegt am Ortsrand von Dreischor und ist umgeben von riesigen Weinfeldern. "Der Hof hier, "De Kleine Schorre", ist seit 1916 in unserer Familie. Also ich bin die vierte Generation hier auf dem Hof. Aber die erste, die Trauben angepflanzt hat und Wein macht", sagt Johan van der Velde.
Mittlerweile gehört das Weingut mit über 14 Hektar Anbaufläche und 70.000 abgefüllten Flaschen pro Jahr zu den drei größten in den Niederlanden. Rebstock reiht sich hier an Rebstock. Die Idee, einmal etwas anderes anzubauen als die üblichen landwirtschaftlichen Produkte der Region, hatte übrigens vor etwas mehr als 20 Jahren nicht Johan selbst, sondern "eigentlich mein Vater mit dem Nachbarn und einer Flasche Genever. Mein Vater hat früher immer Landwirtschaft gemacht, Kartoffel- und Gemüseanbau und darüber hat er dann oft bei unserem Nachbarn geklagt, wie schwierig das war. Da ist der Nachbar gekommen und hat gesagt "Fang einfach ein Weingut an, das hat noch keiner". Und dann war das Problem, dass wir keine Ahnung hatten von Wein. Wir hatten noch nie eine Traube gesehen und wussten gar nicht, wo wir anfangen sollten."
Um die Schnaps-Idee vom Weinanbau im holländischen Zeeland auf die Beine zu stellen, war es erst einmal nötig, die Voraussetzungen dafür zu prüfen. Dabei kam Johans Vater und dem Nachbarn natürlich ihre landwirtschaftliche Erfahrung zugute. Das Resultat ihrer Analyse war vielversprechend. "Wir haben hier die meisten Sonnenstunden von Holland, wenig Niederschlag, selten Hagel, kein Spätfrost und sehr viel Muschelkalk im Boden." Bedingungen, von denen so mancher Winzerbetrieb in den traditionellen Anbauregionen nur träumen kann.
Kontakt mit renommiertem Weingut in Luxemburg
Doch nur mit Sonne, guter Bodenbeschaffenheit und günstigen klimatischen Verhältnissen war es natürlich nicht getan. Um sich das nötige Fachwissen anzueignen, nahm man Kontakt mit einem renommierten Weingut in Luxemburg auf und schickte Johan, der sich damals sofort von der Idee des Vaters und des Nachbarn begeistern ließ, zu einer dreijährigen Ausbildung an die Mosel. 2001 war es dann soweit: Da, wo früher Kartoffeln und Gemüse wuchsen, wurden die ersten Rebstöcke gesetzt. "Direkt mit sechs Hektar, also wir wollten direkt seriös Wein anbauen. Und wir haben vier Hauptrebsorten, das ist Rivaner, Auxerrois, Pinot Blanc und Pinot Gris."
Bis die Rebstöcke die ersten Trauben trugen und die erste Lese beginnen konnte, vergingen ein paar Jahre, in denen der Jungwinzer Erfahrung sammeln und aus Anfangsfehlern lernen konnte. Die größte Herausforderung bestand für ihn allerdings darin, gegen ein weit verbreitetes Vorurteil anzukämpfen. "Eine Flasche holländischer Wein verkauft sich nicht von alleine. Die meisten Leute sagen: 'Holländischer Wein, das geht nicht, holländischer Wein ist Essig und zu teuer'."
Mittlerweile können Johan und seine Freundin Paula, die gerade auf einer Parzelle die Rebstöcke beschneidet, ganz gut von ihrem Wein leben. 98 Prozent der abgefüllten Flaschen werden in den Niederlanden getrunken. Da bleibt für den Export nicht viel übrig. "Glaub mir, in 30 Jahren sieht Holland ganz anders aus mit Weinanbau, als jetzt. Da bin ich mir sicher. Wir sind die Grundleger davon. Da bin ich auch stolz drauf."
Herzstück des Weingutes
Nach dem Spaziergang durch die Weinfelder rund um den Hof geht es jetzt in das Herzstück des Weingutes, den Press- und Gärkeller, der sich in der rechten Hälfte der historischen Holz-Scheune befindet. "Also diese Scheune ist von 1735. Eine der ältesten von der Insel."
Vom Gärkeller sind es nur ein paar Schritte zu dem, was sich ganz bescheiden "Probierlokal" nennt. Dieses "Probierlokal" entpuppt sich als großräumiges und stilvoll eingerichtetes Restaurant, das sich im linken Teil der historischen Scheune befindet. Neben hervorragenden regionalen Speisen werden hier die guten Tropfen vom Weingut "De Kleine Schorre" angeboten. Johan empfiehlt einen Rivaner. "Rivaner ist sehr frisch, hat viel Frische, viel Obst in der Nase."
Alfried Schmitz