Jemanden/etwas mit Argusaugen beobachten (ihn scharf oder misstrauisch beobachten) stammt aus der griechischen Mythologie: Argus war der Riese, der mit seinen hundert Augen über Io, die Geliebte des Zeus wachte.
Den Faden verlieren (in einer Rede nicht mehr weiterwissen, weil man vom Thema abgeschweift ist) könnte aus der Webersprache kommen. Aber wahrscheinlich ist diese Redewendung auf die griechische Sage des Theseus zurückzuführen, der anhand des Fadens, den Ariadne ihm gegeben hatte, wieder aus dem Labyrinth des Daidalos herausfand, in dem er den Minotaurus getötet hatte.
Auch einen Augiasstall ausmisten (großen Dreck oder große Unordnung beseitigen) geht auf eine griechische Sage zurück, in der Herakles den Stall des Augias, in dem 3.000 Rinder gehalten werden, säubert, indem er einen Fluss hindurchleitet.
Ein unbeschriebenes Blatt sein (noch nicht bekannt sein oder noch nichts geleistet haben) ist wahrscheinlich eine Übersetzung der tabula rasa von Aristoteles.
Das hängt an einem seidenen Faden (die Situation ist bedrohlich und kann jeden Augenblick fatal ausgehen): Dabei denken einige Etymologen an die germanischen Nornen, die Rachegöttinnen, die den Lebensfaden durchschneiden können. Meistens führt man diese Redewendung jedoch zurück auf das Schwert des Damokles, das bekanntlich an einem Rosshaar über dem Kopf des Tyrannen von Syrakus hing.
Die Würfel sind gefallen (die Entscheidung wurde getroffen): Hier haben wir die Mythologie verlassen und sind bei der Geschichte angelangt: Fälschlicherweise werden Cäsars Worte, als er den Rubikon überschritt, meistens als alea iacta est zitiert. Tatsächlich soll er aber gesagt haben iacta alea est. Wie dem auch sei, wer den Fluss Rubikon mit seiner Armee überschritt, konnte nur ein Ziel haben: Rom erobern. Damit wusste Cäsar, dass es kein Zurück mehr gab und dass jetzt der Bürgerkrieg kommen würde.
Jemandem ein X für ein U vormachen: Auch das haben wir den alten Römern zu verdanken: Das X war zugleich ein Buchstabe und die Zahl zehn. Das U wurde früher V geschrieben, was auch das Zeichen für fünf war. Wenn nun ein Gläubiger das V zu einem X verlängerte, täuschte er den Schuldner, indem es aus der Fünf eine Zehn machte, so dass er nun das Doppelte der ursprünglichen Schuld verlangen konnte.
Mit dem Ei des Kolumbus (einer einfachen Lösung für ein vermeintlich unlösbares Problem) sind wir dann schon im 15. Jahrhundert. Der Sage nach soll Kolumbus gelungen sein, was noch niemandem gelungen war, nämlich ein Ei auf die Spitze zu stellen. Der Trick war, dass er die Spitze einfach anklopfte.
Man hört und liest oft: nach Adam Riese macht das 223 Euro (wenn ich richtig gerechnet habe ...) - es handelt sich jedoch um Adam Ries, einen im 16. Jahrhundert berühmten Mathematiker, der verschiedene Rechenbücher geschrieben hat. Das -e hat man wahrscheinlich unter dem Einfluss des Wortes Riese hinzugefügt.
Wenn Ihnen etwas spanisch vorkommt (es kommt Ihnen verdächtig oder merkwürdig vor), dann sollten Sie wissen, dass diese Redewendung aus der Zeit von Karl V. stammt. Dieser war zuerst König von Spanien, ehe er Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde. Die Sitten und Gebräuche, die er aus Spanien mitbrachte, kamen den Deutschen spanisch vor.
Den roten Faden (den Leitgedanken) hat die englische Marine erfunden: Sie ließ in all ihren Schiffsseilen einen roten Faden einweben, damit auch jeder wisse, dass es sich um das Eigentum seiner Majestät handelt.
Mit Potemkinschen Dörfern (mit der Vorspiegelung falscher Tatsachen) wurde im 18. Jahrhundert die russische Zarin Katharina hinters Licht geführt. Bei ihren Besuchen im Reich hatte Fürst Potemkin Dörfer aus Holzattrappen bauen lassen, um Wohlstand vorzutäuschen.
Noch ist Polen nicht verloren! (es gibt noch Hoffnung) sind die ersten Worte der polnischen Nationalhymne.
Zum Schluss eine Redewendung, die kaum einer noch versteht, die jedoch einmal sehr populär war: Radio Eriwan (politische Witze in den kommunistischen Ländern des 20. Jahrhunderts). Jerewan oder Eriwan ist die Hauptstadt Armeniens, einer ehemaligen Sowjetrepublik. In deren fingierten Radiosendungen wurden gewagte politische Witze über das Sowjetregime verbreitet.
Dr. Siegfried Theissen
Wieder ein interessanter Beitrag.
Doch dass die Sprüche in Verbindung mit dem Pseudonym "Radio Eriwan" allgemein im deutschen Sprachraum "sehr populär" gewesen sein sollen, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht war das in gewissen intellektuellen Kreisen so, aber an vielen Menschen wird dieser sehr spezielle satirische Humor gänzlich vorbeigegangen sein - so sehr, dass heute kaum jemand etwas mit dem Begriff anfangen kann.