In dem Standardwerk "Flatten, Bob und Nonnenfürzchen. Alltagssprache in Ostbelgien" von Heinen und Kremer (GEV 2016), in dem leider Norden und Süden nicht getrennt werden, findet man schon eine ganze Menge Eupener Wörter.
Es ist die umfangreichste Sammlung dieser Art und das allein schon verdient Respekt. Das heißt jedoch nicht, dass Form, Genuszuweisung oder Etymologie immer richtig sind. Ich gebe hier nur einige Beispiele, die darauf hinweisen, dass Heinen und Kremer (fortan H und K) wahrscheinlich mit den Eigenarten in der Eifel (von dort stammen sie ja) besser vertraut sind als mit dem Eupener Deutsch.
In Eupen sagt man nicht Köttsch (abgenagtes Apfelgehäuse), sondern Kättsch. Das Genus von Backes (Backstube) ist nicht der sondern das und Kabeles (Kabelwerke) ist nicht der oder das, sondern nur das. Der Grund dafür (und für zig andere, wie z. B. Schokkelaates (Schokoladenfabrik) ist das Suffix -es, das von Haus übrig geblieben ist. Das weiß jeder Eupener Plattsprecher.
Brick (Ziegelstein), Panntsch (Bauch) und Passevit (eine Kartoffelpresse) sind in Eupen nicht die sondern der. Auch die Etymologie ist oft nicht korrekt: Wo H und K eine englische Herkunft bei unter anderem Änkel (Fußknöchel) und kallen (sprechen) vermuten (wie soll das gehen?), handelt es sich deutlich um Einfluss des Eupener Dialekts (den H und K nicht zu kennen scheinen) auf die Eupener "Hochsprache".
Der Ursprung von kallen ist im Mittelhochdeutschen und Mittelniederländischen zu suchen, ein Fundus, aus dem auch das Englische to call stammt, aber einen direkten Einfluss des Englischen auf das Eupener Platt oder auf die Eupener "Hochsprache" gibt es nicht.
Die Eupener Mundart steht auch an der Wiege von sich dranhalten (nicht aufhören, Platt: Sech draahauwe) - H und K geben hier keine Etymologie - und von Groffelsnagel (Gewürznelke), das dem französischen clou de girofle zugeordnet wird. Es kommt jedoch nicht unmittelbar aus dem Französischen, sondern nur mittelbar, und zwar über das dialektische Groffelsnaagel.
Auch all die Wörter (ich habe mehr als hundert gefunden) wie Gedöhns (Getue), für die eine niederländische Herkunft (gedoe) angegeben wird, kommen nicht unmittelbar aus dem Niederländischen, sondern wieder nur mittelbar über das Eupener Platt (Gedööns).
Bei einigen Wörtern geben H und K eine umständliche Umschreibung (siehe u.a. Syllabus, Totenkaffee), die kein Ersatz sein kann für einfache hochdeutsche Entsprechungen wie Vorlesungsskript und Leichenschmaus. Manchmal haben H und K sich bei der Verurteilung vergaloppiert: Es will mir nicht in den Sinn, dass z. B. Delle, Germanist, Germanistik, sich den Mund fusselig reden und Totenzettel (hier wieder nur eine umständliche Umschreibung) kein lupenreines Hochdeutsch sein sollen. Für Totenzettel, ein Wort, das es schon seit 1663 gibt und nicht nur im Rheinland, sondern auch in Bayern und Österreich bekannt ist, findet man beim Googeln über 170.000 Belege.
Eupener Wörter (wieder aus dem Platt), die mir in diesem Standardwerk fehlen, sind: sich ärgern (von einer Wunde gesagt, die nicht heilen will), Batze (Oberschenkel), Büvvé (Tresen), der Heftzweck (die Reißzwecke), Jägerstuhl (Hochsitz), Kommissionen machen (Besorgungen), der Kompott (Hochdeutsch das), Öfentchen (Öfchen), Wärmeflasche (Wärmflasche) und vor allem das Eupener Schibboleth (Erkennungszeichen) die (Regen)Schauer statt der. Auch hier findet das falsche Genus wieder seinen Ursprung im Eupener Platt (de - also die - Schuër).
In Eupen ist die Mehrzahl dann *Schauern (Hochdeutsch Singular der Schauer, Plural die Schauer) und dies ist leicht zu erklären: In den Wettervorhersagen hört man oft den Dativ Plural, mit Regenschauern und aus diesem Dativ Plural ist dann der Nominativ Plural mit -n rückgebildet worden.
Schade finde ich, dass die Aussprache bewusst ausgeklammert wurde, sonst hätten H und K wahrscheinlich (um nur einige Beispiele zu nennen) [Brätzel] (ä statt e), [Knopplauch] (statt Knoblauch), [Kinno] (kurzes statt langes i), [Prostata] (statt Prostata), [Spass] (kurzes a statt langes a: Spaß) und [Kräpps] (statt Krebs) berücksichtigt.
Das heißt nun alles nicht, dass dieses umfangreiche Standardwerk nicht zu empfehlen wäre, denn ich habe selbst viel daraus gelernt. Ich wünsche mir nur, dass in einer dritten Fassung die eben genannten Ungenauigkeiten korrigiert werden und dass der Leser vor allem erfährt, was spezifisch für den Norden, was für den Süden gilt und was beide gemeinsam haben.
Generell zum Eupener Deutsch möchte ich sagen, dass die jüngere Generation ein viel besseres Deutsch spricht als meine Generation. Das ist wahrscheinlich hauptsächlich dem Schulwesen und dem Einfluss des BRF zu danken.
"Aber", werden Sie fragen, "wo bleibt jetzt das Schmunzeln?" Dazu ein Sprichwort mit Kommentar: Der Tod kommt wie ein Dieb in der Nacht: Diebe kommen kaum noch in der Nacht, denn das könnte gefährlich für sie werden. Nein, die kommen jetzt schon am helllichten Tag!
Dazu zwei Aphorismen von Lichtenberg (Satiriker des 18. Jahrhunderts): "Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?" – "Es ist sehr gefährlich, sagt Voltaire, in Dingen Recht zu haben, wo große Leute Unrecht haben."
Siegfried Theissen