Nachdem die Brüsseler Oper La Monnaie in der vorigen Spielzeit „Powder her face“ zeigte, folgt jetzt das Theater Aachen mit einer neuen Produktion, die vor allem musikalisch überzeugt.
Thomas Adès „Powder her face“ ist schon in das Repertoire der neueren Musikgeschichte eingegangen. Mal abgesehen von der grandiosen und durchgehend spannenden Musik, die Thomas Adès für seine Oper ersann, hat dazu sicher auch die Tatsache beigetragen, dass in „Powder her face“ Skandalträchtiges behandelt wird und es sogar eine Fellatio-Szene gibt. Aber keine Sorge, es muss ja nicht alles auf der Bühne gezeigt werden. Das war in Brüssel nicht der Fall und ebenso wenig in Aachen.
Die Handlung geht auf eine wahre Geschichte zurück und schildert den Aufstieg und Fall der ebenso berühmten wie berüchtigten Margaret Campbell, der Herzogin von Argyll, deren sexuelle Unersättlichkeit und nachfolgende skandalträchtige Scheidung das Gesellschaftsleben im England der frühen 1960er Jahre sehr stark, vor allem medial beschäftigten. Das prüde England gierte förmlich nach solchen Geschichten.
So erzählt die Oper in acht Szenen den Lebensweg der Duchess, die wohl eine echte Schönheit gewesen ist, sich reich verheiratete und so in der High Society etablieren konnte. Die Ehe kriselte bald und Madame amüsierte sich außer Haus. Aber nicht nur sie, er auch, aber das scheint ja weniger schlimm gewesen zu sein. Auf jeden Fall kam es 1963 nach einem vierjährigen Prozess zu dem Urteil, dass ihre Promiskuität perverse Ausmaße habe, ihre Haltung zur Ehe durch und durch unmoralisch sei.
Thomas Adès hat diese Geschichte, in der zahlreiche Personen, die den Lebensweg der Herzogin begleiten, einander folgen, für vier Solisten gesetzt, die abgesehen von der Titelrolle immer wieder in verschiedene Rollen schlüpfen. So ist der Ehemann auch als Hotelgast und Richter zu sehen, aus dem Elektriker wird ein Kellner oder Salonlöwe, das Zimmermädchen ist auch mal Journalistin oder Mätresse und noch einiges mehr.
In der Produktion von La Monnaie wurde dies in einem atemberaubenden visuellen Spektakel im besten Sinne des Wortes in den Hallen von Schaerbeck gegeben. Da stand sehr viel Raum zur Verfügung, aber nie ging die Konzentration auf das Wesentliche verloren. Man empfand zum Beispiel Empathie für die Herzogin, litt mit ihr. Das lag an der grandiosen Personenregie.
In Aachen spielt das Geschehen auf einer Drehbühne, die immer wieder neue Einsichten freigibt, die allerdings zur Erhellung nicht unbedingt beitragen. Überhaupt vermisste ich hier die psychologische Entwicklung der Herzogin. Da bringt es auch wenig, dass Regisseur Ludger Engels die Figur der Herzogin durch eine Schauspielerin doppelt, die wohl die alte Herzogin darstellen soll, die sich an ihr Leben erinnert.
Hier wurde eine Chance vertan, denn abgesehen davon ist diese Aachener Produktion hinsichtlich der Orchester- und Sängerleistung absolut überzeugend, und man kann das Theater nur loben, dass es nach Philippe Boesmans „Au monde“ im vergangenen Jahr jetzt wieder ein Stück aktuelles Musiktheater herausbringt.
Alle vier Protagonisten geben stimmlich wie auch köperlich alles. Eva Bernard ist die perfekte Diva, Bart Driessen, der Aachener Tevje aus Anatevka, zeigt hier sein facettenreiches Spiel, und das gleiche gilt für zwei Ensemblemitglieder, nämlich Jelena Rakic und Patricio Arroyo.
Und dem sängerischen Niveau entspricht auch das Orchester. In dieser vielgestaltigen und für den damals 24-jährigen Komponisten Thomas Adès erstaunlich reifen Partitur finden sich Einflüsse von Music Hall und Jazz, von Kurt Weill über Igor Strawinsky bis zu György Ligeti und dem Tango Nuevo eines Astor Piazzolla.
Dirigent Justus Thorau versteht es, das Ganze in einer sehr direkten und engagierten Art rüberzubringen. "Powder Her Face" steht noch sieben Mal auf dem Programm des Theaters Aachen. In diesem Monat noch am 26. und 31. März.
HR - Foto: Stadttheater Aachen