Die Polizei war gleich mehrmals mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Fans vorgegangen. Diese waren vor dem zweiten EM-Gruppenspiel der Three Lions gegen Wales am Donnerstag (15:00 Uhr) im nur 40 Kilometer entfernten Lens in die Stadt gekommen.
Dabei wiederholte sich die harte Vorgehensweise gegen die singenden und meist friedlichen Anhänger, dabei wurden auch Hunde eingesetzt. Nach Einschätzung von Augenzeugen ging diese Taktik aber nicht auf, sondern glich vielmehr einem Katz-und-Maus-Spiel.
Die Menge ließ sich bis nach Mitternacht nur vorübergehend auseinandertreiben. Erst gegen 1:00 Uhr am Morgen kehrte auf den Straßen weitgehend Ruhe ein.
Zuvor kam es gleich mehrere Male zu Jagdszenen durch die Innenstadt von Lille, das am Mittwoch Schauplatz der Partie Russland gegen Slowakei (1:2) war. Unter den festgenommenen Personen waren nach Angaben der Präfektur auch sechs Russen, die an den Ausschreitungen in Marseille am vergangenen Samstag beteiligt waren.
Die französischen Behörden haben nach dem Einsatz von Tränengas gegen Fans in Lille ihr Vorgehen verteidigt. Der Präfekt des Départements Nord lobte die Professionalität der Polizisten. Seine Behörde sprach in einer Mitteilung von "extrem punktuellen Scharmützeln, die im Wesentlichen von betrunkenen britischen Staatsbürgern provoziert wurden". Die Polizei habe alles getan, um Zusammenstöße zwischen Briten und Russen zu verhindern. Nach Angaben der Präfektur setzte die Polizei am Dienstagabend nach dem EM-Spiel Russland gegen Slowakei bei zwei Gelegenheiten insgesamt zehn Tränengasgranaten ein, um aus mehreren Hundert Menschen bestehende Gruppen zu zerstreuen.
UEFA hat noch nicht reagiert
Nach den Fan-Ausschreitungen in Lille steht eine Reaktion der Europäischen Fußball-Union UEFA noch aus. Die Turnierorganisatoren beraten jeden Morgen von 08.00 Uhr an mit den französischen Sicherheitskräften die aktuelle Lage.
Die UEFA muss entscheiden, ob die Vorkommnisse am Mittwochabend als so gravierend eingestuft werden, dass das Exekutivkomitee oder das Dringlichkeitskomitee zusammenkommt und über Maßnahmen entscheidet. Dies war am Sonntag nach den Krawallen in Marseille mit russischen und englischen Fans geschehen.
Die Disziplinarkommission der UEFA ist für die Ereignisse in Lille nicht zuständig, da sie sich nicht im EM-Stadion, sondern in der Stadt abspielten. Das Gremium hatte am Dienstag Russland wegen der Fangewalt im Stade Vélodrome von Marseille nur auf Bewährung im Turnier belassen und bei weiteren Krawallen in einer Arena den EM-Rauswurf angedroht.
Innenministerium: 323 Festnahmen seit Beginn der Fußball-EM
Seit Beginn der Fußball-Europameisterschaft hat die französische Polizei 323 Menschen vorläufig festgenommen. Dabei ging es insbesondere um Gewalttaten, Diebstahl oder Sachbeschädigung. Annähernd 200 wurden laut Innenministerium für längere Zeit in Polizeigewahrsam genommen. Elf Täter wurden den Angaben zufolge bereits verurteilt: drei von ihnen zu Bewährungsstrafen, acht müssen laut Urteil ins Gefängnis.
Gegen 24 Fans ordneten die Behörden eine Ausweisung aus Frankreich an. Nach früheren Angaben der zuständigen Stellen in Marseille und Lille handelt es sich um 23 Russen und einen Ukrainer.
Russische Hooligans in Marseille zu Haftstrafen verurteilt
Drei nach den EM-Ausschreitungen von Marseille festgenommene Russen sind am Donnerstag zu Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren verurteilt worden. Im Schnellverfahren verhängte ein Gericht in Marseille die Haftstrafen wegen Beteiligung an den Gewalttaten rund um das Spiel England-Russland.
Die Verurteilten gehören zu der Gruppe von 43 Russen, die am Dienstag in der Nähe von Cannes festgenommen worden waren. 20 von ihnen werden wegen Störung der öffentlichen Ordnung ausgewiesen und sollen Frankreich am Montag verlassen. Die übrigen 20 sind wieder auf freiem Fuß. Bei den Zusammenstößen am Samstag in Marseille waren 35 Menschen verletzt worden. Nach Darstellung der Behörden waren 150 gut organisierte russische Hooligans beteiligt.
dpa/cd/est/mh - Foto: Philippe Huguen/AFP