Aufgebrachte irakische Demonstranten haben bei einer Kundgebung für politische Reformen in Bagdad das hochgesicherte Regierungsviertel und das Parlament gestürmt. TV-Bilder zeigten am Samstag, wie Hunderte Anhänger des Schiitenpredigers Muktada al-Sadr im Abgeordnetenhaus Sprechchöre anstimmten und irakische Fahnen schwenkten. Auch in den Sitzungssaal drangen sie ein. Iraks Ministerpräsident Haidar al-Abadi rief die Demonstranten auf, friedlich zu bleiben und nach Hause zu gehen. Zugleich versicherte er, die Sicherheitskräfte hätten die Lage in Bagdad unter Kontrolle.
In der sogenannten Grünen Zone liegen neben dem Parlament auch Ministerien und Botschaften. Kurz zuvor waren bei einem Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) östlich von Bagdad mindestens 24 Menschen ums Leben gekommen. Die Armee verstärkte nach eigenen Angaben die Sicherheitsmaßnahmen und sperrte alle Zufahrtsstraßen in die Hauptstadt ab. Das Innenministerium dementierte den Einsatz von Schusswaffen oder anderer Mittel, um die Demonstranten im Regierungsviertel, der hochgescherten sogenannten grünen Zone, auseinanderzutreiben. Zuvor hatte die unabhängige irakische Nachrichtenseite Alsumaria News ohne Nennung von Einzelheiten über Schüsse und den Einsatz von Tränengas berichtet.
Die Europäische Union äußerte sich beunruhigt über die Entwicklung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte, die Demonstrationen könnten die ohnehin schon angespannte Lage weiter eskalieren lassen. "Es handelt sich offenbar um die absichtliche Unterbrechung des demokratischen Prozesses", erklärte sie in einer Mitteilung.
Die Demonstranten protestierten gegen die Verschiebung einer Abstimmung im Parlament über ein Technokratenkabinett. Seit Monaten tobt im Irak ein Konflikt um politische Reformen, die der schiitische Regierungschef Al-Abadi zugesagt hat. Im Parlament kam es mehrfach zu Tumulten zwischen zerstrittenen Abgeordneten. Die Reformbefürworter wollen das Proporz- und Klientelsystem abschaffen, das als Hauptursache für die weit verbreitet Korruption im Irak gilt.
Am Dienstag hatte das Parlament gegen den Protest einer Gruppe von Abgeordneten die Neubesetzung von mehreren Ministerposten mit Technokraten abgesegnet. Die Abstimmung über einige Schlüsselressorts steht jedoch noch aus und wurde am Samstag erneut vertagt.
Regierungschef Al-Abadi steht dabei unter dem Druck mehrerer Parteien, die ihren Einfluss behalten wollen. Zugleich behindert der Konflikt den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die noch immer große Gebiete im Norden und Westens des Iraks beherrscht.
Al-Sadr war nach dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein im Jahr 2003 bekannt geworden, als seine Mahdi-Armee die US-Truppen mit Gewalt bekämpfte. In den vergangenen Monaten hat er sich an die Spitze der Protestbewegung gesetzt, die Reformen fordert.
dpa/rkr - Bild: Ahmad Al-Rubaye (afp)