Das Amtsenthebungsverfahren gegen Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff rückt immer näher: Die hierzu ernannte Sonderkommission des Abgeordnetenhauses sprach sich am Montag mehrheitlich für ein Verfahren aus. Von 65 Abgeordneten stimmten 38 dafür und nur 27 dagegen.
Am kommenden Sonntag soll das Plenum der Abgeordnetenkammer über den Antrag entscheiden. Schließt es sich mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Empfehlung der Kommission an, wird der Antrag an den Senat weitergereicht. Stimmen danach auch die Senatoren für das Amtsenthebungsverfahren, müsste Rousseff zunächst für 180 Tage auf ihr Amt verzichten, bis die Vorwürfe gegen sie geprüft sind.
Für einen Schuldspruch und die Absetzung der Präsidentin sind zwei Drittel der Stimmen im Senat erforderlich. Sollte diese Mehrheit zustandekommen, wäre es an Vizepräsident Michel Temer, das Amt bis Ende 2018 auszuüben.
Rousseff wird beschuldigt, kurz vor ihrer Wiederwahl Ende 2014 die wahre Höhe des Haushaltsdefizits verschleiert zu haben. Angeblich ließ sie die staatlichen Banken Sozialleistungen auszahlen, ohne dass ihnen rechtzeitig die dazu benötigten Gelder aus den Staatskassen überwiesen wurden. Der Berichterstatter der Kommission, Jovair Arantes, hatte in seinem Gutachten befunden, das alle juristischen und politischen Bedingungen für die Zulässigkeit des Amtsenthebungsantrags erfüllt worden seien.
Regierungsanhänger beanstandeten, die Rousseff vorgeworfenen Maßnahmen seien bei ihren Vorgängern mehrfach toleriert worden. Es gehe nur um das politische Kalkül, Rousseff zu stürzen. Regierung und Opposition bereiten massive Kundgebungen für und gegen Rousseff in der Hauptstadt Brasília vor. Anhänger ihrer regierenden Arbeiterpartei (PT) einerseits und Befürworter ihrer Absetzung andererseits begannen bereits damit, sich vor dem Kongressgebäude zu versammeln.
Eine 80 Meter breite Pufferzone wurde eingerichtet, um die Demonstranten auf Abstand voneinander zu halten. Zu den Kundgebungen werden bis zu 300.000 Menschen erwartet. Rund 4.000 Polizisten sollen die Sicherheit gewährleisten. Beide Lager sehen einen Wendepunkt für Rousseffs Schicksal in der Abstimmung am kommenden Sonntag, in der die Abgeordneten entscheiden, ob die Anklage gegen die Staatschefin beim Senat eingereicht wird.
Es ist bislang nicht klar, ob die gesammelte Opposition auf jene 342 Stimmen kommt, die zwei Drittel der 513 Abgeordneten ausmachen. Nach Berechnung der Zeitung "O Estado de São Paulo" hatten sich am Montag noch 92 Parlamentarier nicht entschieden oder ihre Einstellung nicht bekanntgegeben. Den Gegnern Rousseffs fehlten demnach noch 44 Stimmen, um die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens durchsetzen zu können.
"Die Abstimmung der Kommission bedeutet nichts, die Abstimmung am Sonntag wird Klarheit bringen", sagte am Montagabend (Ortszeit) in Río de Janeiro der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva bei einer Demonstration für Rousseff, an der nach Angaben der Organisatoren rund 50.000 Menschen teilnahmen. Lula gilt als wichtiger Vertrauter der amtierenden Staatschefin.
Im Hintergrund der Debatte steht die schwere Korruptionsaffäre um den staatlich kontrollierten Erdölkonzern Petrobras, dessen Aufsichtsratsvorsitzende Rousseff von 2003 bis 2010 war. Aber auch Oppositionspolitiker sind von den Ermittlungen der Justiz betroffen. Hinzu kommt, dass die politische Krise die Konsumlaune trübt und somit die schwere Rezession in Brasilien zusätzlich befeuert.
dpa/sh/km - Bild: Evaristo Sa/AFP