Der frühere Präsident Brasiliens, Luiz Inácio Lula da Silva, übernimmt einen der einflussreichsten Ministerposten in der stark unter Druck stehenden Regierung von Präsidentin Dilma Rousseff. Wie Rousseff mitteilte, werde der 70-Jährige in Brasília neuer Chef der Casa Civil, die die Regierungsgeschäfte steuert. Der Posten ist vergleichbar mit dem eines Kabinettschefs. Lula will mit neuen Impulsen die ökonomische Krise bekämpfen. Die Wirtschaftsleistung war 2015 um rund 3,8 Prozent eingebrochen.
Lula bekomme "die notwendige Macht, um uns zu helfen, um Brasilien zu helfen", sagte Rousseff. Es gelte, den Staatshaushalt in Ordnung zu bringen und die Inflation zu bremsen. Die Personalie ist hochumstritten, die Opposition kritisierte die Entscheidung scharf. Im Abgeordnetenhaus kam es zu wütenden Protesten. Denn gegen Lula laufen Korruptionsermittlungen, unter anderem wegen Ungereimtheiten bei einem Luxusapartment an der Atlantikküste, die Staatsanwaltschaft São Paulo hat sogar Untersuchungshaft beantragt.
Mit dem Aufrücken in die Regierung werden die Hürden für einen Prozess deutlich höher, weil nur der Oberste Justizgerichtshof über das Vorgehen gegen ihn urteilen kann. Ein publik gewordener Mitschnitt eines Gesprächs der beiden - der für die Ermittlungen federführend zuständige Richter Sérgio Moro hatte den Mitschnitt genehmigt - legt den Verdacht nahe, dass Rousseff Lula vor einer möglichen Festnahme bewahren will. Darin sagte sie, sie würde ihm das Ernennungsdokument schicken, damit er vorweisen könne, im Fall, dass dies notwendig sei.
Am Mittwochabend demonstrierten tausende Menschen gegen die Ernennung. Sie forderten den Rücktritt von Staatschefin Rousseff. In Brasília setzte die Polizei Tränengas gegen randalierende Demonstranten ein.
Schmiergeldzahlungen
Die seit 2003 das Land regierende, von Lula gegründete Arbeiterpartei steht im Fokus des Skandals um enorme Schmiergeldzahlungen bei Auftragsvergaben des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras. Rousseff wird vorgeworfen, Ermittlungen zu behindern, was sie bestreitet. Sie genießt kaum noch Rückhalt. Am Sonntag waren nach Polizeiangaben landesweit bis zu 3,6 Millionen Menschen auf die Straßen gegangen, um die Amtsenthebung der bis Ende 2018 gewählten Präsidentin zu fordern.
Lula (70) ersetzt in der neuen Funktion Jaques Wagner, der die Arbeit im Präsidentenpalast koordinieren soll. Lula genießt immer noch große Beliebtheit bei ärmeren Schichten, für die er in seiner Amtszeit (2003 - Anfang 2011) große Sozialprogramme initiierte und die Armut so spürbar zurückging. Zudem ist er bestens vernetzt, vor allem in der Arbeiterpartei, die nicht mehr uneingeschränkt hinter Rousseff steht. Sie selbst war unter Lula Ministerin und Kabinettschefin.
Rousseff steht seit Monaten unter großem Druck, sie kann kaum noch im Abgeordnetenhaus notwendige Reformen durchsetzen, zudem wurden erste Schritte für eine Amtsenthebung eingeleitet. Dabei geht es um mögliche Unregelmäßigkeiten der Finanzierung der Kampagne für ihre Wiederwahl 2014. Der wichtigste Koalitionspartner, die Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB), will angesichts der Krise bis spätestens April entscheiden, ob er die Regierung verlassen wird.
dpa/est/km - Bild: Evaristo Sa/AFP