Im Kampf gegen die Ölpest im Golf von Mexiko hat die US-Regierung jetzt ihren Ton gegenüber BP deutlich verschärft. Fast ultimativ klang die jüngste Aufforderung an Konzernchef Tony Haward, alle Informationen zum Ölunfall publik zu machen. Das kommt nicht von ungefähr: Die Regierung von Präsident Barack Obama gerät in der Umweltkrise selbst unter zunehmenden Druck, da braucht man einen Befreiungsschlag.
Immer mehr Umweltexperten, aber auch Kritiker im Kongress lasten Washington an, sich seit Beginn der Katastrophe vor mehr als vier Wochen viel zu stark auf die BP-Angaben über das Ausmaß des Desasters verlassen zu haben. Es bedurfte anscheinend erst der Veröffentlichung eines Live-Videos vom Ölleck, um BP in Sachen Offenheit härter an die Kandare zu nehmen - und dieses Video wurde auf Betreiben eines einzelnen Kongressabgeordneten publik gemacht, nicht etwa auf Drängen der Regierung. Dabei hatten Wissenschaftler schon seit Tagen immer lauter Zweifel daran angemeldet, dass die BP-Schätzungen über die Menge des austretenden Öls so zutreffen. Warum, so fragen sie, sorgt die Regierung nicht selbst für Klarheit?
So schrieb denn auch die «New York Times» am Freitag, dass die Glaubwürdigkeit der Obama-Administration auf dem Spiel stehe. «Fast alles, was wir über die katastrophale Ölpest wissen, könnten wir von Google Earth erfahren haben - Tausende Meilen von Öl auf dem Golf von Mexiko ... Aber es gibt weit mehr, das wir nicht wissen, entweder, weil die Regierung die Information nicht aus BP herausgeholt hat oder sie nicht mit der Öffentlichkeit teilen will.» Und die bekannte Ozeanographin Sylvia Earle sprach kürzlich in einer Kongress-Anhörung vielen aus der Seele: «Es ist mir ein Rätsel, warum wir nicht wissen, wie viel Öl austritt.»
Dabei hatte Obama gehofft, seine Regierung aus der Schusslinie zu bringen, indem er Mitte Mai mit starken Worten ein Ende des «behaglichen Verhältnisses» zwischen den staatlichen Regulatoren und der Ölindustrie ankündigte. Tatsächlich hat sein Innenminister Ken Salazar mittlerweile die Zerschlagung der ihm unterstehenden Behörde für Mineralien-Management (MMS) in drei Teile verfügt. Das heißt im Klartext: Bohrgenehmigungen, Kontrolle und das Abkassieren von Fördergebühren - ein Milliardengeschäft - sollen getrennt werden.
Das ist ein wichtiger erster Schritt, im eigenen Laden aufzuräumen. Aber die Frage bleibt, warum bisher keine Köpfe gerollt sind. Nur ein Spitzenbeamter trat in den Vorruhestand, wobei niemand offiziell einen direkten Zusammenhang mit der Ölkatastrophe herstellte. Dabei weiß man inzwischen, dass die MMS BP und Dutzenden anderen Unternehmen das Bohren im Golf von Mexiko erlaubte, ohne erst - wie vorgeschrieben - die Genehmigung der für den Tierschutz zuständigen Behörde einzuholen. Biologen im eigenen Haus, die Umweltbedenken geäußert hätten, seien ignoriert worden, ja, sie sollen manchmal sogar gezwungen worden sein, ihre internen Studien über die ökologischen Auswirkungen zu «schönen», schrieb die «New York Times».
Dabei kann Obama nicht behaupten, dass ihn die Liaison zumindest zwischen Teilen der MMS und Vertretern der Ölindustrie überrascht hätte. Erst 2008 hatte es Schlagzeilen darüber gegeben, dass sie in einem Bett liegen - und das auch im wahrsten Sinne des Wortes. Damals flog auf, dass mehr als ein Dutzend MMS-Mitarbeiter Sex mit Angestellten der Ölindustrie hatten, Berge von Geschenken annahmen und Gelage mit Alkohol und Drogen hielten. Zu den netten Gaben gehörten Golf- und Skiausflüge und feudale Abendessen - das alles in einer frappierenden Menge, hieß es damals in einem offiziellen Untersuchungsbericht.
Kritiker meinen nun, dass Obama genügend vorgewarnt war, aber dennoch die Zügel schleifen ließ. «Murky waters», trübes undurchsichtiges Wasser, so überschrieb die «New York Times» am Freitag ihren Kommentar zu den offenen Fragen dieses Ölunfalls - und meinte damit nicht nur das durch das Öl verdunkelte Meer.
Gabriele Chwallek (dpa) - Bild: epa