Eigentlich war der türkische Premier Davutoglu nur zum Mittagessen in Brüssel geladen, Ratspräsident Tusk hat aber ein Abendessen hinzugefügt. Denn die Türkei hat zur Lösung der Flüchtlingskrise weitreichende Vorschläge auf den Tisch gelegt - und eine neue Wunschliste. Denn die EU ist zur Bewältigung der Flüchtlingskrise auf die Türkei angewiesen, das weiß Ankara.
Im Gegenzug für die Rücknahme von Migranten fordert Premier Ahmet Davutoglu rasche Visa-Erleichterungen für türkische Bürger, die nach Europa reisen, eine verbesserte Ausgangslage in den Beitrittsverhandlungen mit der EU und mehr Geld für die Versorgung von Flüchtlingen im eigenen Land. Statt drei Milliarden Euro will die Türkei nach Angaben des EU-Parlamentsvorsitzenden Schulz jetzt sechs Milliarden bis 2018.
Dafür hat die Türkei angeboten, mehr Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen als bisher angekündigt. Es soll einen 1:1-Mechanismus geben: Bis 2019 nimmt Ankara nicht-syrische Flüchtlinge zurück, die keinen Anspruch auf Asyl in der EU haben. Gleichzeitig sollen syrische Kriegsflüchtlinge, die für europäische Asylverfahren in Frage kommen, auf sicherem Wege in die EU-Staaten geschickt werden. Ankara verpflichtet sich auch zu einem verstärkten Grenz- und Küstenschutz sowie zu einem entschlossenen Kampf gegen Schlepper, um die ungeregelte Einwanderung nach Europa zu stoppen.
"Europäisches Problem"
Bevor die Verhandlungen mit der Türkei am Abend weitergehen, haben die Europäer noch ganz unter sich ein Hühnchen zu rupfen. In der vorbereiteten Abschlusserklärung für den Gipfel heißt es "Die Balkanroute ist für Flüchtlinge ab jetzt geschlossen". Der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel geht die Formulierung aber zu weit. Es gehe nicht darum, "irgendetwas zu schließen". Österreich besteht aber auf einer klaren Wortwahl, wie Kanzler Werner Faymann erklärte.
Und auch die Botschaft von Charles Michel ist deutlich: Sicherung der Schengen-Außengrenze. "Die illegale Einwanderung nach Europa muss stoppen", sagt Premier Michel. Brennpunkt ist derzeit Griechenland. Weil die Grenze zu Mazedonien dicht ist, sind dort Zehntausende Flüchtlinge gestrandet. Auch deswegen meint Griechenlands Premier Alexis Tsipras: "Dieses Problem betrifft nicht nur ein Land, es ist unser gemeinsames Problem. Ein europäisches Problem, für das es eine europäische Lösung geben Muss." Zwei Maßnahmen sind wahrscheinlich: Eine stärkere Sicherung der Außengrenze - und eben mehr Zusammenarbeit mit der Türkei.
Ob und wie die Staats- und Regierungschefs auf die türkischen Forderungen eingehen und wie die 28 mit dem jüngsten Angriff auf die Meinungsfreiheit in der Türkei umgehen, wird wohl erst nach einer langen Abend- vielleicht sogar Nachtsitzung in Brüssel feststehen.
akn/km - Bild: François Lenoir/AFP