Je mehr sich das 63. Filmfestival von Cannes seinem Ende nähert, desto politischer wird es. Seit der Iraner Abbas Kiarostami, der auf dem Festival mit «Certified Copy» vertreten ist, die Befreiung des renommierten Regisseurs und Landsmanns Jafar Panahi gefordert hat, ist die Stimmung umgeschlagen. Panahis Befreiung und dessen Hungerstreik rückten auf der Croisette in den Mittelpunkt.
Bereits zu Beginn des Festivals forderten Bernard Kouchner, Frankreichs Außenminister, und der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand Teheran auf, die Menschenrechte zu respektieren und Panahi frei zu lassen. Er sitzt seit März im Evin-Gefängnis in Teheran, das berüchtigt für seine Folterknechte ist. Dem Regisseur wird vorgeworfen, an einem regimekritischen Film zu arbeiten. Der 49-Jährige war in Cannes als Jurymitglied vorgesehen. Er gilt als einer der wichtigsten unabhängigen Regisseure im Iran.
Seit Sonntag weder getrunken noch gegessen
«Ich habe seit Sonntagmorgen weder getrunken, noch gegessen. Ich werde erst mit dem Hungerstreik aufhören, wenn meine Forderungen erfüllt werden», schrieb Panahi in einem Brief, der von der Revue «La Règle du Jeu» ins Internet gestellt wurde. So will er unter anderem nach 77 Tagen Gefängnis mit einem Anwalt reden. In dem Brief schreibt er auch, dass er und seine Mitinsassen eineinhalb Stunden nackt im Kalten stehen mussten. Die Zeitschrift «La Règle du Jeu» wurde vor mehr als 20 Jahren von dem französischen Intellektuellen Bernard-Henri Lévy gegründet.
Tränen auf der Pressekonferenz
Selten hat Cannes eine bewegendere Pressekonferenz erlebt, als die Kiarostamis, auf der er seinen neuen Film «Certified Copy» vorstellte, eine Beziehungsgeschichte zwischen einer jungen Frau und einem britischen Buchautor, die in Italien in der Toskana spielt. «Ich kann nicht verstehen, wie man einen Film als Verbrechen betrachten kann, der noch nicht einmal existiert », erklärte er fassungslos zum Fall Panahi. Die französische Schauspielerin Juliette Binoche, die bei der Pressekonferenz neben Kiarostami saß, konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, als sie von dem Hungerstreik erfuhr.
Wie auf der Internetseite von «La Règle du Jeu» unter Berufung auf die iranische Nachrichtenagentur Fars zu lesen ist, soll Teheran die Inhaftierung des Filmemachers um zwei Monate verlängert haben. Grund soll der Brief sein, in dem sich Panahi für die Bemühungen um seine Freilassung bedankt. Frankreichs Kulturminister hatte das Schreiben zu Beginn des Festivals auf dem roten Teppich vorgelesen.
Frankreich und seine algerische Vergangenheit
Auch die politische Debatte um den Film «Hors-la-loi» von Rachid Bouchareb könnte sich zuspitzen. Der Film wird an diesem Freitag vorgestellt und sorgte schon vorher für Polemik. Gesehen hat ihn noch niemand, doch wurde er von einigen bereits als antifranzösisch eingestuft. Der Film handelt von einem Massaker, das die französischen Armee am 8. Mai 1945 im algerischen Sétif anrichtete. Ein selbst ernanntes Komitee «Für die historische Wahrheit - Cannes 2010» drohte mit spektakulären Aktionen am Tag der Aufführung.Hungerstrei;
Sabine Glaubitz (dpa) - Bild: epa