Haitis Präsident Michel Martelly hat sein Amt ohne gewählten Nachfolger niedergelegt. Martelly verabschiedete sich am Sonntag mit einer Ansprache vor dem Parlament in der Hauptstadt Port-au-Prince. Am meisten bedauere er, dass die Wahl seines Nachfolgers aufgeschoben werden musste, sagte der 54-Jährige. Seit Dezember war die Stichwahl um das Präsidentenamt in dem verarmten Karibikstaat zweimal wegen Manipulationsvorwürfen aus den Reihen der Opposition abgesagt worden.
Erst am Vortag hatte die Martelly-Regierung einen Kompromiss mit dem Parlament erzielt, um das drohende Machtvakuum zu verhindern. Demnach soll eine Übergangsregierung die Macht bis zur Wahl eines neuen Staatschefs kommissarisch übernehmen. In den nächsten Tagen soll das Parlament einen Übergangspräsidenten und einen vorübergehenden Ministerpräsidenten bestimmen.
Das im Westteil der Karibikinsel Hispaniola gelegene Haiti gilt als ärmstes Land Lateinamerikas. Ein verheerendes Erdbeben verschlimmerte im Januar 2010 die Lage. 40 Prozent des Staatshaushalts werden durch Entwicklungshilfe finanziert. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Präsidenten häufig vom Militär oder durch Volksaufstände aus dem Amt gejagt.
Die Opposition weigert sich bislang, die Ergebnisse des ersten Durchgangs der Präsidentenwahl von Ende Oktober anzuerkennen. Sie wirft den Wahlbehörden vor, damals die Abstimmung zugunsten des Regierungskandidaten manipuliert zu haben. Nach der am Samstag erzielten Übereinkunft soll die Stichwahl nun im April stattfinden. Ob es diesmal zur Abstimmung kommt, bleibt fraglich.
Die Opposition will Neuwahlen - und sie schickte in den vergangenen Wochen ihre Anhänger oft auf die Straßen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. In Port-au-Prince und in anderen Städten des Landes kam es dabei häufig zu Ausschreitungen.
Martelly verteidigte bei seinem Abgang die Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit. Trotz eines lähmenden Streits zwischen Regierung und Opposition war der Wiederaufbau des Landes nach dem Erdbeben von Januar 2010 vorangekommen. "Haiti erholt sich", sagte der frühere Musiker. Diese Erholung könne überall im Land festgestellt werden.
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