Tunesien erlebt die schlimmsten sozialen Unruhen seit Beginn der arabischen Aufstände vor fünf Jahren. Die teilweise gewaltsamen Proteste gegen die schlechte wirtschaftliche Lage und hohe Arbeitslosigkeit dehnten sich in der Nacht zum Freitag auf mehrere Regionen des nordafrikanischen Landes aus. Demonstranten griffen in der Hauptstadt Tunis und anderenorts Posten der Polizei an und setzten deren Wagen in Brand, wie Sicherheitskreise meldeten.
Um der Unruhen Herr zu werden, verhängte das Innenministerium nach eigenen Angaben eine nächtliche Ausgangssperre über das ganze Land. Ministerpräsident Habib Essid versprach zugleich, seine Regierung werde alles tun, was in ihrer Macht stehe, um die soziale Krise in den Griff zu bekommen. "Wir sind uns unserer schwierigen Situation bewusst", sagte er dem TV-Sender France 24.
Tunesien ist nicht nur das Ursprungsland der arabischen Aufstände, sondern auch der einzige arabische Staat, der seitdem den Übergang in die Demokratie geschafft hat. Der 26 Jahre alte Gemüsehändler Mohammed Bouazizi hatte Ende 2010 die Aufstände ausgelöst, als er sich in der Kleinstadt Sidi Bouzid aus Verzweiflung über seine Lage selbst anzündete.
Die massiven Demonstrationen brachten im Januar 2011 Machthaber Zine el Abidine Ben Ali zum Sturz. Die Welle des Aufruhrs erfasste auch zahlreiche andere Länder wie Ägypten, Libyen, Syrien, Bahrain oder den Jemen. In vielen dieser Staaten herrscht heute Chaos. In Tunesien gab es hingegen freie Wahlen und einen demokratischen Machtwechsel von der islamistischen Ennahda zur säkularen Partei Nidaa Tounes. Das tunesische Quartett für den nationalen Dialog erhielt im vergangenen Jahr für seine Verdienste den Friedensnobelpreis.
Großen wirtschaftliche Probleme und hohe Arbeitslosigkeit
Allerdings leidet das Land unter großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist mit einer geschätzten Quote von 15 Prozent Erwerbslosen angespannt. Besonders für junge Menschen ist die Jobsuche oft aussichtslos. Verschärft wurde die Krise im vergangenen Jahr durch Terrorattacken auf Urlauber in Tunis und dem Badeort Sousse. Danach brach das ohnehin schon schwache Geschäft der Tourismusbranche ein.
Medien berichteten am Freitag, in einem ärmeren Viertel von Tunis seien Läden und zwei Banken geplündert worden. Zu gewaltsamen Protesten kam es auch in den Städten Jendouba und Bizerte. Aus Sidi Bouzid wurden ebenfalls Zusammenstöße gemeldet.
Die Demonstrationen hatten am vergangenen Wochenende in der Provinz Kassérine begonnen, nachdem ein junger Arbeitsloser aus Protest gegen eine abgelehnte Jobbewerbung auf einen Strommast geklettert war und dabei einen tödlichen Schlag erlitten hatte. Der Fall erinnerte viele an das Schicksal des Gemüsehändlers Bouazizi. Bei Zusammenstößen in Kassérine wurde am Mittwoch ein Polizist getötet.
Frankreich will Tunesien stützen - Essid: Haben keinen Zauberstab
Frankreich will das krisengeschüttelte Tunesien in seiner Entwicklung unterstützen. "Tunesien hat fünf Jahre nach der Revolution den Übergang zur Demokratie geschafft", sagte Präsident François Hollande am Freitag nach Angaben des Élyséepalastes beim Treffen mit dem tunesischen Ministerpräsidenten Habib Essid in Paris. Es gebe aber immer noch "erhebliche wirtschaftliche, soziale und sicherheitspolitische Herausforderungen". Hollande kündigte ein Hilfsprogramm über eine Milliarde Euro in den kommenden fünf Jahren an, das Jugendliche und benachteiligte Regionen stützen soll.
Mit Blick auf die Unruhen in seinem Land sagte Essid, die Lage habe sich beruhigt und sei unter Kontrolle. Im Sender France24 sagte der Regierungschef: "Wir haben keinen Zauberstab, um allen gleichzeitig einen Arbeitsplatz zu geben." Die wichtigsten Maßnahmen seien getroffen worden. Nach Protesten von Arbeitslosen in der Provinz Kassérine versprach die Regierung 5.000 neue Arbeitsplätze.
Von Jan Kuhlmann und Tarek Guizani, dpa/est/fs/sr - Bild: Mohames Khalil (afp)