"Kaum liegt Schnee in Brüssel, da bricht in Belgien auch schon alles zusammen". Peng! EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, wie er leibt und lebt. Kein Blabla, sondern frei von der Leber weg.
Erste Feststellung: Das vergangene Jahr war nicht das einfachste. 2015 war gespickt mit Problemen. Einige wurden gelöst, etwa die Griechenlandkrise. Die Liste der ungelösten Probleme allerdings sei lang und sie werde zugegebenermaßen nur noch länger, so Juncker. Das gilt allen voran für die Flüchtlingskrise. Von einem gesamteuropäischen Ansatz ist man ja immer noch weit entfernt. Europa sei hier dabei, sein Image zu ruinieren, wettert Juncker.
Die Mitgliedstaaten und ihre Verantwortung - das leidige Thema. Jean-Claude Juncker jedenfalls will nicht mehr der Sündenbock sein. "Ich bin es langsam leid, dass man immer wieder die Europäische Kommission und die Europäische Union dafür kritisiert, dass nicht genug getan worden wäre. Einige Mitgliedsstaaten tun sich schwer, das umzusetzen, was sie auch als Gesetzesgeber im Ministerrat beschlossen haben"
Statt ihre Verantwortung zu übernehmen, machen viele Länder lieber noch die Grenze zu. Das Schengenabkommen wird zunehmend infrage gestellt, also das Europa ohne Grenzen. Auch hier findet der Luxemburger deutliche Worte: "Was macht es für einen Sinn, wenn wir uns mit einer Währung kontinental aufstellen, wenn wir den Kontinent nicht so bereisen können wie früher?"
Nicht nur der Euro ist in Gefahr. Die Mitgliedstaaten sollten sich darüber bewusst werden, wie kontraproduktiv es wäre, das Rad zurückdrehen zu wollen, meint Jean-Claude Juncker. "Wer Schengen killt, wird im Endeffekt den Binnenmarkt zu Grabe getragen haben." Die Folge: "ein Arbeitslosenproblem in Europa, das nicht länger beherrschbar sein wird."
Graben zwischen Elite und Bürgern
Doch sitzt die Legitimitätskrise viel tiefer. Auch die Menschen verlieren ihr Vertrauen in die EU. Und hier kann der Kommissionspräsident auf eine ähnlich entwaffnende Weise auch selbstkritisch sein. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die sich für die europäische Elite halten - auf der anderen Seite gibt es die Bürger. "Ja, es stimmt, zwischen beiden klafft ein tiefer Graben", sagt Juncker.
Diese Existenzkrise, die haben wir vor Augen, sagt Juncker. Und am Ende zählten da nur die Resultate. "Wachstum und Jobs, das sind und bleiben die Prioritäten." Und er werde nicht locker lassen, sagt Juncker. Er werde auch 2016 die Mitgliedstaaten immer wieder dazu anhalten, den gemeinsamen - den europäischen - Weg einzuschlagen.
Doch was ist da mit den Problemländern? Was ist etwa mit Großbritannien, dem drohenden "Brexit"? "Wir finden eine Lösung", sagt Juncker ebenso verschmitzt wie geheimnisvoll. Und Polen? Die Polen sollten wissen, dass wir nichts gegen ihr Land haben, sondern lediglich mit einigen Initiativen der neuen Regierung in Warschau, sagt Juncker. Hier dürfe man nichts verwechseln.
Wir dürfen jedenfalls nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, mahnt Juncker. Schon seine Generation habe nicht mehr erleben müssen, welche schrecklichen Folgen ein europäisches Durcheinander haben kann. "Welche Welt wollen wir unseren Kindern vererben? Das ist die Frage."
rop/km - Bild: EmmanuelDunandAFP