"Es gibt arge Bedenken angesichts der jüngsten Entwicklungen in Polen", sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans und gab damit einen eher unglücklichen Startschuss fürs neue Jahr. 2016 beginnt damit quasi, wie 2015 aufgehört hat. Die Existenzkrise der EU geht in eine neue Runde.
Symbolisiert wird die - neben der der mangelnden innereuropäischen Solidarität in der Flüchtlingskrise - im Moment besonders durch die Haltung der neuen Regierung in Warschau. Die spielt nicht nur die betont "nationale Karte" und geht damit auf spürbare Distanz zur EU, was ihr ja noch bis zu einem gewissen Maß überlassen bleibt. Nein, es sind vor allem die jüngsten innerstaatlichen Reformen, die in Brüssel und auch in vielen Mitgliedstaaten für "Befremden" sorgen.
"Wir sorgen uns etwa um die Lage des polnischen Verfassungsgerichts", sagte Frans Timmermans. Man könne nur feststellen, dass verschiedene bindende Urteile nicht von anderen Institutionen des Staates umgesetzt würden; außerdem habe die neue Regierung Maßnahmen ergriffen, die Einfluss haben auf das Funktionieren des Verfassungsgerichtes.
Kritiker werfen der Regierung in Warschau vor, das Verfassungsgericht in gewisser Weise an die Leine nehmen zu wollen. Gleiches gilt für die öffentlich-rechtlichen Medien. Unter anderem gibt sich die neue Regierung das Recht, über Führungsposten zu entscheiden. Führende Regierungsmitglieder in Warschau machten klar, dass es ihnen dabei durchaus auch um die gesendeten Inhalte gehe.
Es gebe die Sorge, wonach die neue Regierung die Pressefreiheit und auch den Pluralismus einschränken wolle, sagt der niederländische Kommissionsvize. In beiden Fällen stehe also die Frage im Raum, ob hier nicht demokratische Grundwerte missachtet oder gar angegriffen werden. Und aus diesem Grund sich die EU-Kommission also dazu entschlossen, den sogenannten Rechtsstaatsdialog einzuleiten. Man spricht hier auch vom "Mechanismus zum Schutz der Rechtstaatlichkeit in Mitgliedstaaten"; dieses Mittel gibt es erst seit 2014.
Frans Timmermans war aber sichtlich bemüht, den Eindruck zu vermeiden, der allerdings nicht zu vermeiden ist: Polen sitze hier nicht auf der Anklagebank. Vielmehr wolle man nur einen Dialog mit Warschau suchen, sprich: Klärungsbedarf objektiv aus der Welt schaffen. Als Hüterin der EU-Verträge sieht sich die Kommission jedenfalls zu diesem Schritt legitimiert, nämlich eben dann aktiv zu werden, wenn ein Land gegen die gemeinsamen Grundwerte zu verstoßen droht.
Dass das in Warschau gar nicht gut ankommen würde, das konnte man sich freilich an den fünf Fingern abzählen. "Wir werden keine Politik auf Knien führen", wetterte schon die neue Regierungschefin in einer ersten Reaktion. Später gab sich ihr Sprecher dann betont gelassen, nach dem Motto: Alles Routine, das Ganze werde am Ende wohl nicht mehr als eine Formalität sein...
Berufen kann man sich da sogar auf den EU-Kommissionspräsidenten persönlich. Erst vor einigen Tagen hatte Jean-Claude Juncker erklärt, dass er nicht erwarte, dass man am Ende zum äußerten Mittel greifen werde. Das wäre immerhin eine Aussetzung der Stimmrechte Polens, etwa im EU-Ministerrat. Bislang spielen beide Seiten also "guter Bulle, schlechter Bulle": versöhnliche und kämpferische Töne halten sich noch die Waage.
Abzuwarten bleibt allerdings, wie andere EU-kritische Regierungen auf die Maßnahme der Kommission reagieren werden. Wer ohnehin schon seine staatliche Souveränität als bedroht betrachtete, der wird sich jetzt nur noch bestätigt sehen. Einmal mehr also eine Geschichte, in der es am Ende nur Verlierer geben kann...
Roger Pint - Archivbild: John Thys (afp)