Als in Spanien im Jahr 1939 der Bürgerkrieg zu Ende ging, stand dem Land das Schlimmste noch bevor. Francisco Franco und seine Gefolgsleute ließen bei der Errichtung ihrer Diktatur mehr als 100.000 Gegner des Regimes aus politischen Motiven ermorden und in Massengräbern verscharren. Für diese Verbrechen wurde nie jemand zur Rechenschaft gezogen. Erst im Jahr 2008 brach der Untersuchungsrichter Baltasar Garzón dieses Tabu und leitete Ermittlungen ein. Vor Gericht gestellt werden nun aber nicht die Schergen der Franco-Diktatur, sondern der Richter selbst.
Der Oberste Gerichtshof ordnete an, dass der berühmteste Jurist Spaniens auf die Anklagebank muss. Der zuständige Richter Luciano Varela legt dem 54-Jährigen zur Last, gegen das Amnestiegesetz von 1977 verstoßen zu haben. Garzón habe sich eigenmächtig an die Vergangenheitsbewältigung gemacht, seine Kompetenzen überschritten und somit das Recht gebeugt. Bei einer Verurteilung droht ihm ein Berufsverbot von bis zu 20 Jahren.
Ein Prozess von Richters Gnaden
Damit dem Richter überhaupt der Prozess gemacht werden kann, wich der Gerichtshof von einer Doktrin ab, die er in anderen Fällen befolgt hatte: Gegen Garzón wurde Anklage erhoben, obwohl die Staatsanwaltschaft dagegen war und auch kein direkt Betroffener dies wünschte. Das Verfahren stützt sich allein auf das Klagegesuch einer kleinen rechtsgerichteten Organisation namens «Manos Limpias» (Saubere Hände), die sich selbst als Gewerkschaft bezeichnet.
Später Erfolg für Franco
Mit dem Prozess gegen den Richter landete Franco 35 Jahre nach seinem Tod einen späten Erfolg bei der spanischen Justiz. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch protestierten gegen das Verfahren. Garzón hatte sich mit seinen Ermittlungen gegen Militärherrscher in Argentinien, Chile oder Guatemala als «Tyrannen-Jäger» einen Namen gemacht. 1998 erwirkte er die Festnahme des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet und wurde damit weltweit bekannt.
Pro und Contra
In Spanien scheiden sich an dem Richter die Geister. Die einen betrachten Garzón als einen Kandidaten für den Friedensnobelpreis, die anderen sehen in ihm einen «Star-Richter», der sich gerne in das Licht der Öffentlichkeit stellt und die spektakulärsten Fälle an sich reißt. In der Justiz blicken viele Richter eifersüchtig und misstrauisch auf den Kollegen, der ständig für Schlagzeilen sorgt.
Auch in der Politik hat Garzón sich zahlreiche Feinde gemacht. Er ließ Mitglieder der Regierung von Felipe González (1982-1996) vor Gericht stellen, weil sie im Kampf gegen die ETA zu Mitteln des Staatsterrorismus gegriffen hatten. Damit trug er maßgeblich zum Sturz des sozialistischen Regierungschefs bei. Die Konservativen machte Garzón sich zum Feind, weil er einen großen Korruptionsskandal in der Volkspartei aufdeckte.
Suspendierung oder Beförderung
Angesichts der drohenden Klage glaubte der Richter, einen eleganten Ausweg gefunden zu haben: Er beantragte seine Versetzung zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Auf diese Weise bliebe ihm die Schmach einer Suspendierung erspart. Aber der Oberste Gerichtshof wollte sich nicht damit abfinden, dass Garzón ins «Exil» entschwindet. Im Eilverfahren legte das Gericht die Anklage vor in der Hoffnung, dass der Jurist noch vor einer Versetzung suspendiert werden kann. Ein suspendierter Richter kann nämlich nicht versetzt werden. Das Selbstverwaltungsorgan der Richterschaft (CGPJ) steht nur vor einem Dilemma: Es muss entscheiden, ob es Garzón zuerst suspendiert oder zuerst nach Den Haag versetzt.
Hubert Kahl (dpa) - Bild: epa (14.05.2010)